144 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 31.)
Über seine letzten Tage und den Tod berichten die „Hamb.
Nachrichten“:
Am Donnerstag (28. Juli) abend war auf Verschlimmerungen, wie
sie seit Oktober vorigen Jahres wiederholt stattgefunden hatten, eine Besse-
rung eingetreten, welche dem Fürsten erlaubt hatte, bei Tisch zu erscheinen,
lebhaft an der Unterhaltung teilzunehmen, Champagner zu trinken und,
gegen die Gewohnheit der letzten Zeit, wieder mehrere Pfeifen zu rauchen.
Das Befinden war derart befriedigend, daß Geheimrat Schweninger, nach-
dem der Fürst sich zur Ruhe begeben hatte, Friedrichsruh verlassen konnte,
um am Sonnabend wieder dorthin zurückzukehren. Der Zustand blieb
während des Freitags verhältnismäßig befriedigend. Auch am Sonnabend
Morgen las der Fürst noch die „Hamburger Nachrichten“ und sprach über
Politik, namentlich über russische; auch genoß er im Laufe des Vormittags
Speise und Trank und beklagte sich dabei scherzhaft über den geringen
Zusatz von geistigen Getränken zu dem Wasser, das man ihm reichte. Dann
trat plötzlich eine Verschlimmerung durch akutes Lungenödem ein. Im
Laufe des Nachmittags verlor der Fürst häufig das Bewußtsein. In der
letzten Zeit hatte er neben ungewöhnlich lichten Momenten mehr oder
minder schlafsüchtige Zustände gehabt, aus denen er entweder in längeren,
tiefen und wohlthuenden Schlaf geriet, oder zu völlig frischem Erwachen
gelangte. In den Abendstunden des Sonnabends nahmen die bedenklichen
Erscheinungen zu. Der Tod trat leicht und schmerzlos gegen 11 Uhr ein.
Geheimrat Schweninger, der erst kurz zuvor wieder eingetroffen war, konnte
dem Sterbenden den Tod noch dadurch erleichtern, daß er ihm mit einem
Taschentuche den Schleim aus dem Munde entfernte und dadurch das
Atmungshindernis beseitigte. Das letzte Wort, das der Fürst gesprochen
hatte, war an seine Tochter, die Gräfin Rantzau, gerichtet, welche ihm den
Schweiß von der Stirn getrocknet hatte: „Danke, mein Kind.“ Am Sterbe-
lager des Fürsten war die ganze fürstliche Familie versammelt und außer
Geheimrat Schweninger und Dr. Chrysander waren noch Baron und Baronin
Merck zugegen. Nachdem Geheimrat Schweninger während drei Minuten
keinen Atemzug und keinen Puls mehr wahrgenommen hatte, erklärte er
in einfacher und ruhig schonender Weise, daß der Tod eingetreten sei. So-
fort nach dem Ableben meldete Herr Geheimrat Schweninger das Ereignis
dem Kaiser telegraphisch nach Norwegen. Der Fürst liegt, wie er oft zu
schlafen pflegte, leicht mit dem Kopf nach links geneigt, der Gesichtsausdruck
ist mild und friedlich verklärt. Auffallend war, daß der Kopf verhältnis-
mäßig sehr lange Zeit die Wärme des Lebens behielt. Der Fürst wird
seinem Wunsche gemäß auf der dem Schlosse gegenüberliegenden Anhöhe in
der Nähe der Hirschgruppe beigesetzt werden.
31. Juli. Der Kaiser erhält auf der Nordlandsreise in
Bergen die Nachricht vom Tode des Fürsten Bismarck durch fol-
gendes Telegramm:
An Se. Mcjestät den Deutschen Kaiser. Melde Ew. Majestät unter-
thänigst, daß Se. Durchlaucht Fürst Bismarck soeben verschieden ist.
Friedrichsruh, Dr. Schweninger.
Das Beileid-Telegramm des Kaisers lautet:
Fürst Herbert Bismarck
Friedrichsruh.
In tiefer Trauer teilnehmend an dem Schmerz, der Sie alle um
den teuren großen Toten erfaßt, beklage Ich den Verlust von Deutschlands
großem Sohne, dessen treue Mitarbeit an dem Werke der Wiedervereinigung