146 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 31.)
Absolutismus, ohne ministerielle Verantwortlichkeit zurückkehrten. Nach den
zu Recht bestehenden verfassungsmäßigen Einrichtungen aber ist eine prä-
sidiale Leitung des Ministerkollegiums auf der Basis der Ordre von 1852
unentbehrlich. Hierüber sind, wie in der gestrigen Staatsministerialsitzung
festgestellt wurde, meine sämtlichen Kollegen mit mir einverstanden und auch
darüber, daß auch jeder meiner Nachfolger im Ministerpräsidium die Ver-
antwortlichkeit nicht würde tragen können, wenn ihm die Autorität, welche
die Ordre von 1852 verleiht, mangelte. Bei jedem meiner Nachfolger wird
dieses Bedürfnis noch stärker hervortreten, wie bei mir, weil ihm nicht so-
fort die Autorität zur Seite stehen wird, die mir ein langjähriges Prä-
sidium und das Vertrauen der beiden hochseligen Kaiser bisher verliehen
hat. Ich habe bisher niemals das Bedürfnis gehabt, mich einem Kollegen
gegenüber auf die Ordre von 1852 ausdrücklich zu beziehen. Die Existenz
derselben und die Gewißheit, daß ich das Vertrauen der beiden hochseligen
Kaiser Wilhelm und Friedrich besaß, genügten, um meine Autorität im
Kollegium sicher zu stellen. Diese Gewißheit ist heute aber weder für meine
Kollegen noch für mich selbst vorhanden. Ich habe daher auf die Ordre
vom Jahre 1852 zurückgreifen müssen, um die nötige Einheit im Dienste
Euerer Magjestät sicher zu stellen.
Aus vorstehenden Gründen bin ich außer stande, Euerer Majestät
Befehl auszuführen, laut dessen ich die Aufhebung der vor kurzem von
mir in Erinnerung gebrachten Ordre von 1852 selbst herbeiführen und
kontrasignieren, trotzdem aber das Präsidium des Staatsministeriums weiter-
führen soll.
Nach den Mitteilungen, welche mir der General von Hahnke und
der Geheime Kabinettsrat Lucanus gestern gemacht haben, kann ich nicht
im Zweifel sein, daß Euere Majestät wissen und glauben, daß es für mich
nicht möglich ist, die Ordre aufzuheben und doch Minister zu bleiben.
Dennoch haben Euere Majestät den mir am 15. erteilten Befehl aufrecht
erhalten, und in Aussicht gestellt, mein dadurch notwendig werdendes Ab-
schiedsgesuch zu genehmigen. Nach früheren Besprechungen, die ich mit
Euerer Majestät über die Frage hatte, ob Allerhöchstdenselben mein Ver-
bleiben im Dienste unerwünscht sein würde, durfte ich annehmen, daß es
Allerhöchstdenselben genehm sein würde, wenn ich auf meine Stellungen in
Allerhöchstdero preußischen Diensten verzichtete, im Reichsdienste aber bliebe.
Ich habe mir bei näherer Prüfung dieser Frage erlaubt, auf einige be-
denkliche Konsequenzen dieser Teilung meiner Aemter namentlich des kräf-
tigen Auftretens des Kanzlers im Reichstage, in Ehrfurcht aufmerksam zu
machen, und enthalte mich aller Folgen, welche eine solche Scheidung zwi-
schen Preußen und dem Reichskanzler haben würde, hier zu wiederholen.
Euere Majestät geruhten darauf zu genehmigen, daß einstweilen alles beim
alten bliebe. Wie ich aber die Ehre hatte, auseinanderzusetzen, ist es für
mich nicht möglich, die Stellung eines Ministerpräsidenten beizubehalten,
nachdem Euere Majestät für dieselbe die capitis diminutio wiederholt be-
fohlen haben, welche in der Aufhebung der Ordre von 1852 liegt. Euere
Majestät geruhten außerdem bei meinem ehrfurchtsvollen Vortrage vom
15. d. Mts. mir bezüglich der Ausdehnung meiner dienstlichen Berechtigungen
Grenzen zu ziehen, welche mir nicht das Maß der Beteiligung an den
Staatsgeschäften der Uebersicht über letztere und der freien Bewegungen in
meinen ministeriellen Entschließungen und in meinem Verkehr mit dem
Reichstage und seinen Mitgliedern lassen, deren ich zur Uebernahme der
verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit für meine amtliche Thätigkeit bedarf.
Aber auch, wenn es thunlich wäre, unsere auswärtige Politik unabhängig
von der inneren und äußeren Reichspolitik so unabhängig von der preu-