Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

160 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (September 10.) 
Einer Abordnung des westfälischen Bauernvereins, die Ge- 
schenke bringt, erwidert der Kaiser: 
Ich werde, getreu dem Vorbilde Meiner Vorfahren, dem Bauern- 
stande stets meinen besonderen Schutz und Mein besonderes Wohlwollen 
angedeihen lassen. Wenn Ich trotz großen Widerstandes und nach großen 
Kämpfen das Gesetz über das Anerbenrecht für Westfalen durchgesetzt habe, 
so habe Ich das gethan einerseits in dem Bewußtsein der Richtigkeit der 
Gründe, die Sie soeben angeführt haben, anderseits auch in der Hoffnung, 
daß dasselbe vorbildlich sein wird für andere Provinzen, wo ein Bauern- 
stand mit ähnlichen Grundsätzen vorhanden ist. Ich bin überzeugt, daß 
dies der beste Weg ist, die landwirtschaftliche Bevölkerung zu stützen und 
den Bauernstand in seiner alten Tüchtigkeit zu erhalten. Durch solche ernste 
Arbeit wird mehr erreicht, als durch Phrasen und hohle Reden, mit denen 
man den Interessen der Landwirtschaft zu dienen sucht. Ich bitte Sie, 
in Meinem und der Kaiserin Namen den Mitgliedern Ihres Vereins unsern 
Königlichen Dank für Ihre Worte und die Gaben, die Sie uns entgegen- 
gebracht haben, auszusprechen. 
10. September. (Öynhausen.) Der Kaiser richtet folgen- 
den Dankerlaß an den Oberpräsidenten von Hannover: 
Es ist Mir stets eine große Freude, in der Provinz Hannover weilen 
zu können, wo Ich jederzeit eines warmen Empfanges gewiß bin. Be- 
sonders freudigen Herzens bin Ich aber diesmal gekommen, um das 
10. Armeekorps vor Mir Manöver abhalten zu lassen. Der überaus fest- 
liche Empfang und die vom patriotischen Geiste getragene Begrüßung. 
welche Mir und der Kaiserin und Königin, Meiner Gemahlin, durch die 
Provinz und insbesondere durch die Haupt- und Residenzstadt Hannover 
bereitet worden ist, hat Uns hocherfreut und Unseren Herzen sehr wohl 
gethan. Ich nehme daher bei Beendigung der Herbstübungen gern Anlaß, 
Unserem warmen Danke für die Uns zu teil gewordenen zahlreichen Be- 
weise treuer Liebe und Anhänglichkeit aus allen Kreisen der Bevölkerung 
Ausdruck zu geben, wobei Ich nur lebhaft bedauern kann, daß die durch 
die Manöver bedingten Verhältnisse Uns ein längeres Verweilen in der 
Provinz für dieses Mal nicht ermöglichten. Indem Ich Sie beauftrage, 
dies zur Kenntnis der Einwohner der Provinz zu bringen, füge Ich gern 
hinzu, daß Ich auch mit besonderer Befriedigung von dem den Truppen 
trotz der erheblichen Einquartierungslasten überall bewiesenen freundlichen 
Entgegenkommen vernommen habe. 
gez. Wilhelm. 
September. Die Presse über die Rede des Kaisers vom 
6. September. — Bekämpfung der Anarchisten. Sozialdemokratie 
und Prügelstrafe. 
Die Zentrumsblätter und die liberalen erklären sich unbedingt gegen 
einen solchen Gesetzentwurf, auch die meisten mittelparteilichen und manche 
konservative äußern Bedenken. So schreibt die „Deutsche Tageszeitung": 
Eine so harte Bestrafung eines bloßen Versuchs oder einer nur wörtlichen 
Aufforderung zur Streikanteilnahme ist wohl nicht zu erwarten. Darin, 
daß den frivolen Hetzern das Handwerk kräftigst gelegt werden müsse, wird 
jeder Verständige dem Kaiser beistimmen. 
Die „Tägliche Rundschau“: Hätte „König“ Stumm die Worte ge- 
sprochen, achselzuckend würde man sagen: „Legts zu den übrigen“, aber 
unser kaiserlicher Herr —! Die „Berl. Pol. Nachr.“ sagen: „Weiteste Kreise
	        
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