Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 12.) 9 
Bezüge haben, von Konjunkturen und Schwankungen abhängig sind, welche 
nicht in der Lage sind, Pensionen und Witwen- und Waisengelder zu be- 
ziehen. Ich glaube daher, man muß doch bei dem fortschreitenden Drängen 
auf stete Steigerung der Gehaltsausgaben etwas die kritische Sonde anlegen 
im Interesse derjenigen Klassen, die Sie ja selbst vertreten. Ich glaube, 
daß wir, wenn wir auch in manchen Einzelheiten, namentlich bei den Unter- 
beamten, werden noch nachhelfen müssen, doch im Großen und Ganzen die 
gewaltige Steigerung dieser Ausgaben hinter uns haben. Wir werden 
ferner, meine Herren, wenn ungünstige Jahre kommen sollten, namentlich 
für die Betriebsverwaltungen, wie ich mir schon auseinanderzusetzen erlaubte, 
in den stark angeschwollenen Extraordinarien, die wir hier in guten Jahren 
in Ausgabe stellen, und die übertragen werden in die nächstfolgenden 
Jahre, ebenfalls starke Reserven besitzen. Ich glaube so, meine Herren, 
daß es uns gelingen wird, selbst bei einem erheblichen Rückschlag von 
Handel, Gewerbe und Industrie doch uns vor der Wiederkehr von starken 
Defiziten zu hüten, und was das bedeutet, meine Herren, für die ganze Fort- 
entwickelung, das regelmäßige Fortschreiten des ganzen Staatswesens, wenn 
es nicht nötig ist, notwendige Unternehmungen zu unterlassen, angefangene 
zu verringern oder gar zu sistieren, wenn der regelmäßige Fortgang der 
ganzen sozialen, gewerblichen und staatlichen Entwickelung gesichert ist, das 
brauche ich nicht weiter auszuführen. Wenn wir gegenwärtig mit doppel- 
ter Vorsicht verfahren, wo wir auf der Höhe sind, weil man doch leichter 
von einer Höhe wieder heruntersteigt, als noch höher gelangt, — wenn 
wir in diesen guten Zeiten eine besondere Vorsicht walten lassen, nament- 
lich die Einnahmen nicht zu hoch veranschlagen, uns immer klar machen, 
daß ein Rückschlag kommen kann, — wir haben die Erfahrung ja hinter 
uns —, so glaube ich allerdings, daß wir mit Ruhe auf die dauernde 
Konsolidierung unserer Staatsfinanzen blicken können. Die allgemeine 
Wohlfahrt des Landes ist in diesen Jahren — von einem wichtigen großen 
Zweig der Volkswohlfahrt abgesehen — außerordentlich gestiegen. Wir 
können annehmen, daß das Gesamtvermögen unseres Volkes sich stetig ver- 
mehrte. Aber, meine Herren, der Finanzmann kann sich nicht unbedingt 
darauf verlassen, daß die Staatsfinanzen in derselben Weise florieren und 
steigen wie die Privatwohlfahrt; denn der Uebergang, meine Herren, von 
den verschiedenen Privatvermögen bis in die Staatskasse hat lange und 
schwierige Wege. (Heiterkeit.) Wir würden manche Ausgaben nicht be- 
willigt haben, wenn hinter jeder Ausgabe eine Steigerung der Einnahmen 
aus der Steuer gestanden hätte. (Heiterkeit.) Man kann nicht einfach 
sagen: Der Wohlstand des Landes wächst, folglich kann der Staat sich auch 
mehr Ausgaben erlauben, über seine jetzigen Mittel hinausgehen; nötigen- 
falls kann er mehr Mittel aus dem Lande entnehmen, — nein, meine 
Herren, der Trost ist ein unsicherer Trost. (Heiterkeit.) Wie schwer es ist 
in Deutschland, entgegen anderen Ländern, zu einer Steigerung der Leistungen 
der Steuerpflichtigen zu kommen, das wissen Sie aus eigener Erfahrung 
besser als ich. (Heiterkeit.) Meine Herren, dies ist nun der letzte Etat, 
den ich diesem hohen Hause — wenigstens hier in diesem Hause — vor- 
zulegen die Ehre haben werde. Wir können wohl mit Dank anerkennen, 
meine Herren, daß wir in den letzten fünf Jahren gelebt haben in Zeiten des 
Friedens und der wachsenden Wohlfahrt, des Fortschritts auf allen Ge- 
bieten, wenn auch nicht auf allen Gebieten die Reinerträge entsprechend 
den kulturellen Fortschritten — ich meine das in Bezug auf die Landwirt- 
schaft — gewachsen sind. Wir wollen dem nächsten Landtage in dem neuen 
Hause ähnliche günstige Zeiten wünschen, und hoffen, daß Preußen in seiner 
Gesamtentwickelung so erfreulich weiter fortschreite, wie in den letzten fünf
	        
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