Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

170 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oktober 22.) 
Erhebungen über die Arbeits-, Lohn- und Lebensverhältnisse der 
Unterbeamten und Arbeiter durch Ausgabe von Fragebogen und 
ergänzende mündliche Vernehmungen des Personals anstellen zu 
dürfen. — Der Minister lehnt ab. 
Oktober. Anläßlich der Orientreise des Kaisers und der 
Reden des Papstes über das Protektorat der Katholiken in Palä- 
stina (vgl. Röm. Kurie) werden die Protektoratsfrage und die fran- 
zösischen Ansprüche vielfach besprochen. Die deutsche Presse ist 
einmütig in der Abweisung der französischen Ansprüche. 
Oktober. Die Nachrichten von dem vereitelten Anarchisten- 
anschlag in Alexandrien (vgl. Ägypten) werden in der Presse mit 
Aufmerksamkeit verfolgt. Die sozialdemokratischen Blätter behan- 
deln das Attentat als „Polizeimache“. 
22. Oktober. (Preußen.) An die Wähler des Wahlkreises 
Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg ist folgender Aufruf ge- 
richtet: 
Die diesmaligen Landtagswahlen setzen viele patriotisch und königs- 
treu gesinnte Männer in schwere Verlegenheit. Von den Parteien, die die 
Staatsregierung zu unterstützen pflegen, haben die konservative und frei- 
konservative Partei jüngst in wichtigen Fragen eine Haltung eingenommen, 
die den Traditionen des preußischen Staates direkt entgegengesetzt ist. Zumal 
gewisse Führer dieser Parteien haben ihre Thätigkeit in den Dienst beson- 
derer Wirtschafts- und Klasseninteressen gestellt, haben die Staatsregierung 
von dem Gesamtinteresse ab auf ihren Klassenstandpunkt zu drängen gesucht, 
haben die sozialpolitischen Ziele, welche diese Parteien selbst früher ver- 
folgten, umgedeutet und teilweise fast in ihr Gegenteil verkehrt, haben end- 
lich die auf das allgemeine Beste gerichtete Meinungsbildung und Ueber- 
zeugungsfreiheit des Beamtentums und überhaupt der gesamten gebildeten 
und wissenschaftlichen Kreise einzuschüchtern versucht. Unter diesen Um- 
ständen wäre es höchst gefährlich, es würde unser Staatswesen schädigen 
und die königliche Staatsregierung in ihren Bestrebungen oft nicht unter- 
stützen, sondern stören und hemmen, wenn etwa das zu wählende Abge- 
ordnetenhaus eine konservative Majorität zeigte. Die entgegengesetzte Gefahr, 
daß die Parteien der grundsätzlichen Opposition die Majorität erlangen, 
ist thatsächlich heute für das Abgeordnetenhaus nicht vorhanden. In Er- 
wägung dieser augenblicklichen Lage richten die Unterzeichneten, die bei der 
letzten Reichstagswahl sämtlich für den konservativen Kandidaten gestimmt 
haben, an alle Wähler unseres Wahlkreises, welche das Gesamtinteresse des 
Vaterlandes höher stellen als die Partei- und Klasseninteressen, die Bitte, 
bei der bevorstehenden Wahl zum Abgeordnetenhause die konservative Partei 
nicht zu unterstützen. Wir haben die Ueberzeugung, daß in der gegen- 
wärtigen Lage ein derartiges Verhalten dem Wohle des Staates und der 
Monarchie am besten entspricht. A. E. Berner, Prof., Geh. Just.-Rat. 
L. Bernhardt, Fabrikbes. H. Delbrück, Prof. Duddenhausen, Wirkl. Geh. 
Rat. E. Eck, Prof. P. von Elpons, Gen-Maj. z. D. Fr. Gebauer, Fabrik- 
besitzer. Giercke, Prof., Geh. Justizrat. Gleim, Wirkl. Geh. Oberreg.-Rat. 
Ad. Harnack. Prof. Graf P. von Hoensbroech, Herausgeber der „Täglichen 
Rundschau“ und des „Deutschen Wochenblattes“. Kahl, Prof., Geh. Justiz-
	        
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