Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 9.—14.) 173 
Ein solches Vorgehen mußte mich um so schmerzlicher berühren, als es im 
eigenen Lande meine Autorität zu untergraben, den Geist des Widerspruchs 
gegen meine Regierung zu stärken und die Anbahnung friedlicher und ge- 
deihlicher Verhältnisse im Lande zu erschweren geeignet ist, wie auch anderer- 
seits die lippesche Bevölkerung eine ihrem Regenten angethane ungerecht- 
fertigte Demütigung nicht verstehen will. Da ich im Interesse der Disziplin 
Anstand nehme, meinerseits Gegenbefehle zu geben, zu welchen ich als Kon- 
tingents- und Landesherr dem auf mich vereideten und verpflichteten Truppen- 
teile gegenüber voll berechtigt zu sein glaube, appelliere ich an Ew. Majestät 
Gerechtigkeitssinn und bitte um die Gnade, durch ein kaiserliches Machtwort 
einem solchen Eingriff in die Rechte eines Bundesfürsten Einhalt zu thun 
und dem kommandierenden General des 7. Armeekorps allergnädigst befehlen 
zu wollen, seine Anordnungen aufzuheben und sich jeglichen Eingriffs in 
meine Rechte fernerhin zu enthalten. Mit dem Ausdrucke unwandelbaren 
Respekts habe ich die Ehre zu verharren Ew. Mojestät unterthänigster 
Diener Ernst Grafregent zu Lippe. 
In der Denkschrift an die Bundesfürsten legt der Graf Rechts- 
verwahrung gegen das kaiserliche Telegramm (S. 141) ein. Er sei von der 
ersten Stunde der Regentschaft an bemüht gewesen, eine gnädige Gesinnung 
des Kaisers zu gewinnen und Treue zur Person des Trägers der deutschen 
Krone auch vor seinem Lande öffentlich zu bekennen. Er müsse aber zu 
seinem tiefen Schmerze aussprechen, daß er während seiner Regentschafts- 
führung „mehrfach bitteren Erfahrungen durch Ungnade Sr. Majestät“ 
preisgegeben war.  .  .  .  . Ich kann auszusprechen nicht unterlassen, daß 
die Ausübung einer disziplinären Korrektur gegen ein deutsches Staats- 
oberhaupt das verfassungsmäßige Verhältnis der Bundesfürsten im Reiche 
in seinen Grundlagen verändern müßte. Wenn Se. Majestät ihren Worten: 
„Dem Regenten, was dem Regenten zukommt“, noch hinzuzufügen geruhten: 
„Weiter nichts!“ so erscheint damit die Auffassung zum Ausdruck gebracht, 
welche die Begrenzung und Inhaltsbestimmung meiner landesherrlichen 
Rechte vom Allerhöchsten Willen des Kaisers absolut abhängig stellt. Gegen 
diese Auffassung lege ich namens des von mir vertretenen staatsgrundgesetz- 
lichen Rechtes Verwahrung ein!“ Die Denkschrift erklärt, ganz dasselbe 
könne jedem anderen Bundesfürsten geschehen. Der Grafregent betrachte es 
als seine heilige unerläßliche Pflicht, gegen jede Beschränkung seiner Rechte 
entschieden Stellung zu nehmen. Wenn ein anderer Weg nicht übrig bleibe, 
würde er im Bundesrate den Antrag einbringen, eine reichsgesetzliche Ab- 
grenzung der Befugnisse zwischen den kommandierenden Generalen und den 
einzelnen Landesherren in Anregung zu bringen. 
Die lippische Regierung erklärt hierzu (16. Nov.): Den Veröffent- 
lichungen des „Neuen Wiener Tageblatts“ stehen sowohl Seine Erlaucht 
der Graf-Regent und höchstseine Familie, als auch der Hof und die lippische 
Staatsregierung durchaus fern. Die Bekanntmachung ist ohne Wissen der- 
selben, und entgegen der hier festgehaltenen Absicht der Nichtveröffentlichung 
erfolgt. 
In der Presse wird die Angelegenheit viel besprochen, namentlich 
die Frage, ob der Bundesrat zuständig sei in der vom Graf-Regenten er- 
wähnten Angelegenheit oder nicht, so u. a. von Seydel, Kekulé v. Stra- 
donitz und Zorn in der „Deutschen Juristen-Zeitung“. 
9.—14. November. (München.) Vertreter der Reichspost, 
der bayerischen und württembergischen Postverwaltung halten Kon- 
ferenzen über Reformen im Postwesen.
	        
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