Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

174 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 17.) 
November. (Berlin.) Das kaiserlich statistische Amt ver- 
öffentlicht die Statistik der Reichstagswahlen. 
Danach waren im Deutschen Reiche von 52279901 Einwohnern (am 
2. Dezember 1895) 11441 444 wahlberechtigt, übten 7786 714 ihr Wahl- 
recht aus. Es wurden nämlich 7 752693 gültige, 34021 ungültige Stimmen 
abgegeben. Von gültigen Stimmen wurden abgegeben: 859222 Stimmen 
für die deutsch-konservative Partei, 343 642 Stimmen für die deutsche Reichs- 
partei, 971302 Stimmen für die nationalliberale Partei, 195682 Stimmen 
für die freisinnige Vereinigung, 558 314 Stimmen für die freisinnige Volks- 
partei, 1755039 Stimmen für das Zentrum, 277128 Stimmen für die 
Polen, 2107076 Stimmen für die Sozialdemokraten, 287250 Stimmen 
für die Antisemiten (deutsch-soziale Reformpartei. christlich-sozial), 180 389 
Stimmen für den Bund der Landwirte, 140 304 Stimmen für den baye- 
rischen Bauernbund, 218234 Stimmen für andere Parteien, 92637 Stimmen 
unbestimmt, 13846 Stimmen zersplittert. 
17. November. Das Abkommen zwischen dem Norddeutschen 
Bunde und der Schweiz über den Schutz des litterarischen Eigen- 
tums vom 13. Mai 1869 tritt infolge Kündigung durch die Schweiz 
außer Kraft. 
November. Dezember. (Preußen.) Ausweisungen von 
Dänen und Slaven. 
In Nordschleswig werden viele dänische Unterthanen, die bei 
dänisch gesinnten Einwohnern in Dienst stehen, ausgewiesen. Auch aus 
Schlesien werden viele österreichische Unterthanen slavischer Herkunft aus- 
gewiesen. 
Die deutsche Presse beschäftigt sich vornehmlich mit den dänischen 
Ausweisungen. Die Presse der Linken und des Zentrums verurteilt sie ent- 
schieden und befürchtet davon eine Schädigung der Handelsbeziehungen zu 
Dänemark. — Der Oberpräsident von Schleswig-Holstein, v. Köller, 
spricht sich einem dänischen Journalisten gegenüber folgendermaßen aus über 
die Ausweisungen: 
Die Gründe der Ausweisungen sind rein örtliche. Man hat gefabelt 
von Miquels Politik, von Befehlen aus Berlin, Rache für die Wahlnieder- 
lage, von Verbindung mit den Ausweisungen in Polen, Elsaß und an der 
holländischen Grenze. Das ist alles Erfindung deutscher Blätter, welche 
niemals Bescheid wissen. Nein, die Ausweisungen sind von Landräten nach 
meinen Befehlen und aus folgenden Gründen ausgeführt: Ich kam vor 
einem Jahre hierher. Früher bin ich Staatssekretär in Elsaß-Lothringen 
gewesen und bin daher genau mit Grenzverhältnissen bekannt. Ich sah 
mir daher die Dinge im ersten Jahre still an und bemerkte, wie die 
Dänen überall die Deutschen reizten. Ich beobachtete aufmerksam die 
Ausflüge der Schleswiger nach Dänemark, die Radfahrerausflüge mit dem 
demonstrativen Entfalten des Dannebrog sofort nach dem Ueberschreiten 
der Grenze. Ich las die Berichte über Versammlungen, worin u. a. 
dänische Offiziere auftraten. An einer Stelle sprach ein dänischer Amt- 
mann (Landrat) auf eine Weise, wie ich niemals einem meiner Landräte 
gegen Dänemark zu sprechen erlaubt haben würde. Scavenius empfing 
„Südjüten“, welche demonstrierten; als früherer Minister hätte er mehr 
Vernunft haben sollen. Dänische Professoren kamen über die Grenze und 
hielten aufreizende Reden, woraus schleswig'sche Blätter ausführliche Be-
	        
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