176 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (November 21. 24.)
21. November. Die „Köln. Volksztg.“ schreibt über „Reichs-
verdrossenheit":
Nur ein Schönfärber kann behaupten, daß die Stimmung gegen
Preußen im Süden eine bessere geworden sei. Eher ist die Reichsverdrossen-
heit wieder im Wachsen, und besonders gilt dies von Bayern. Wer natür-
lich das Beamten-Evangelium vom Lech, die „Augsburger Abendzeitung“,
als Gradmesser annimmt, der wird davon nichts bemerken, denn diese
„zieht's nach Norden“. Leider wird immer wieder neuer Stoff geboten,
welcher geeignet ist, das Mißtrauen zu nähren, zu stärken, zum großen
Schaden des Reichsgedankens. Moskau ist noch lange nicht vergessen, und
das bayerische Volk, so stolz es war über die Zurückweisung des „Vasallen-
tums“ durch den künftigen Träger der Krone Bayerns, kann es nicht be-
greifen, daß wegen der Einladung zu den Manövern in Schlesien die plötz-
liche Fahrt des Prinzen Ludwig nach Kiel notwendig war. Man erzählt
sich auch von Telegrammen, die damals gewechselt worden und die eine
gewisse Aehnlichkeit mit dem Telegramm nach Detmold gehabt haben
sollen. . . . . . Und nun erst gar die Lippe-Detmolder Angelegenheit. Ein
bayerisches Blatt, die „Bayerische Landeszeitung“ des nach und nach in
allen politischen Farben schillernden Memminger, hatte die ersten Aufsehen
erregenden Mitteilungen gebracht. Man hielt es für unmöglich, daß das
„Präsidium des Bundes“ in dem bekannten Telegrammstil mit den Bundes-
fürsten verkehre. Durch die nun veröffentlichte „feierliche Rechtsverwahrung“
des Graf-Regenten von Lippe ist das Undenkbare glaublich gemacht. Was
heute aber dem Graf-Regenten begegnet, kann es nicht morgen dem Prinz-
Regenten widerfahren? Das ist die still, aber auch sehr laut gezogene
Schlußfolgerung in Bayern. Und — kann man die Folgerichtigkeit be-
streiten: Wird die Konsequenz nur dadurch hintangehalten, daß Bayern
größer an Umfang ist? Liegt nicht der Gedanke sehr nahe: Heute mir,
morgen dir? Wohl nichts hat dem Reichsgedanken in letzter Zeit mehr
geschadet im Süden, wie diese Behandlung der lippischen Angelegenheit,
ganz abgesehen davon, daß die Ebenbürtigkeits-Frage zu ganz eigentüm-
lichen Vergleichen herausgefordert hat. Möchte doch im Interesse des Reichs-
gedankens ruhige Erwägung Platz greifen und dem Argwohn eines Han-
delns ab irato der Nährboden entzogen werden! Damit habe ich einige
der im Augenblicke vorspringenden Punkte angeführt, welche danach an-
gethan sind oder jedenfalls dazu beitragen, das Mißtrauen in Bayern gegen
das Reich, oder vielmehr gegen Preußen — aber das sind vielfach im
Volksbewußtsein gleiche Begriffe — erklärlich und begreiflich zu machen.
Das Bayern-Volk, eifersüchtig auf seine Rechte in Erinnerung an seine
Vergangenheit, treuergeben seinem Königshause, wittert Gefahr, und daher
die Verstimmung, und wie leicht wäre es, dieselbe zu beseitigen!
24. November. (München.) Der Kaiser hat auf der Rück-
kehr von der Orientreise eine Zusammenkunft mit dem Prinz-
Regenten. Sie verständigen sich über die Militärstrafprozeßreform.
Danach willigt der Prinz-Regent in die Errichtung eines bayerischen
Senats mit dem Sitz in Berlin beim Obersten Militärgerichtshof. Da-
gegen räumt der Kaiser Bayern das Recht der Ernennung des Vorsitzenden
sowie der Mitglieder in diesem bayerischen Senat und des Militäranwalts
an demselben ein.
24. November. (Baden-Baden.) Das Kaiserpaar hat eine
Zusammenkunft mit dem Großherzog und der Großherzogin von Baden.