Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 12./15.) 185
Abg. Fritzen (Z.) erkennt die günstig wirtschaftliche Lage an. Er
empfiehlt die Mehrausgabe für die Pariser Weltausstellung, die Mehr-
ausgabe für die Förderung von Kunst und Wissenschaft im Reichsamt des
Innern. Das sei ein Lichtpunkt in dem Etat, welcher sonst nur Forde-
rungen für Schiffe, Kanonen und sonstige Mordwerkzeuge enthalte. Aber
im allgemeinen müsse man die Förderung der Kunst und Wissenschaft den
Einzelstaaten überlassen, die in ihren Finanzverwaltungen besser abschließen
als das Reich. Auf die Militärforderungen wolle er nicht eingehen, er-
warte aber in der Kommission eine ausführlichere Begründung. Redner
fordert ein neues Vereinsgesetz und Aufhebung des Jesuitengesetzes. Die aus-
wärtige Politik verdiene Anerkennung. Die Orientreise unseres Kaiserpaares
hat erkennen lassen, daß die Würde und das Ansehen des Reichs im Orient
sehr hoch steht. Die Schenkung der Dormitio an die deutschen Katholiken
hat gezeigt, daß Se. Majestät die Interessen der katholischen Unterthanen
wohl zu würdigen weiß, und ich glaube, daß ihm dafür der Dank der ge-
samten deutschen katholischen Unterthanen dargebracht wird. Die deutschen
Katholiken des Auslandes werden nicht bei einer fremden nichtdeutschen
Macht Schutz und Hilfe suchen. (Zustimmung des Zentrums.) Wenn auch
das Wortspiel, daß das französische Protektorat im Orient für die Katholiken
keine protectio, sondern eine persecutio sei, übertrieben sein mag, so lehnen
doch die deutschen Katholiken aus voller Ueberzeugung das französische
Protektorat im Orient aus nationalen Gründen ab. Abg. Richter (ers.
Vp.): Er protestiere gegen den Byzantinismus, der in der Rückkehr von
der Orientreise gleichsam die Heimkehr von einem siegreichen Feldzuge er-
blickte. Daß durch die Reise der Export gefördert sei, mag richtig sein,
aber der Export wird viel mehr geschädigt durch die Ausweisungen in
Nordschleswig. Die Thronrede nimmt aus dem Gottesgnadentum den An-
laß zur Förderung des Christentums. Das Reich Jesu Christi ist nicht
von dieser Welt und die gepanzerte Faust kann das Reich Christi nicht
mehr fördern, als alle anderen Kulturwerke. Es taucht die Frage auf, ob
nicht die lange Abwesenheit des Herrschers von der Heimat Anlaß geben
könnte zur Einsetzung einer Regentschaft. Wir haben die Nachteile einer
solchen Abwesenheit ja gewissermaßen am eigenen Leibe erfahren. Noch
nie ist der Reichstag so spät zusammengetreten ohne einen besonderen inneren
Grund wie diesmal. Verwerflich seien die Ausweisungen in Schleswig,
die den Export schädigten. Die Ausgaben für militärische und koloniale
Zwecke müßten durchaus eingeschränkt werden. Die lange Abwesenheit des
Kaisers führe zu konstitutionellen Unzuträglichkeiten. Hierauf erwidert
Staatssekr. Graf Posadowsky: Der Herr Abgeordnete Richter hat es für
nützlich gehalten, von der längeren Abwesenheit Seiner Majestät des Kaisers
zu sprechen. Thatsächlich möchte ich hierauf bemerken, daß eine Stell-
vertretung im Reiche nicht bestellt werden kann. Der König von Preußen
ist als solcher Deutscher Kaiser; eine Stellvertretung, also eine Regentschaft,
könnte deshalb immer nur in Preußen eingerichtet werden, und würde dann
ihre selbstverständlichen staatsrechtlichen Konseguenzen für das Reich haben.
Aber der Herr Abgeordnete Richter braucht sich auch nicht zu beunruhigen,
daß durch die Abwesenheit Sr. Majestät des Kaisers, welche hohen politi-
schen Zielen diente, und, wie Ihnen sogleich der Herr Staatssekretär des
Aeußern nachweisen wird, große politische Erfolge gehabt hat, irgend eine
Störung in der Regierungsmaschine im Reiche oder in Preußen eingetreten
ist. Se. Majestät ist in fortgesetzter Verbindung mit Seiner Regierung
geblieben und hat während der Strapazen der Reise sogar verhältnismäßig
unwichtige Schriftstücke bearbeitet und vollzogen, um keinerlei Stillstand
selbst auf dem Personalgebiete eintreten zu lassen. Die spätere Einberufung