Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 12./15.) 187
Wohlfahrt des osmanischen Reiches gelten, und daß wir keine anderen
Interessen verfolgen, daß wir nicht gesonnen sind, ihre berechtigten Forder-
ungen zu durchkreuzen. Den Balkanvölkern stehen wir freundlich und ohne
parti pris gegenüber, wir wünschen nur, daß sie nicht den Frieden stören,
und wir suchen unsere dort bestehenden Handelsbeziehungen weiter auszu-
bauen. Mit Befriedigung kann ich konstatieren, daß unter der weisen
Leitung eines erleuchteten Fürsten das Königreich Rumänien immer mehr
zu einem bedeutsamen Faktor der Ordnung, des Fortschrittes und der Kultur
auf der Balkanhalbinsel sich ausbildet. In Bezug auf die Rivalität
zwischen den Balkanvölkern verhalten wir uns reserviert. Orient und
Occident sind nicht mehr zu trennen. Das hat schon vor 70 Jahren unser
alter Goethe gesagt. Was die kretische Angelegenheit angeht, so freue ich
mich, daß unsere Haltung in dieser Beziehung von dem Abg. Richter ge-
billigt ist. (Heiterkeit.) Wir haben seiner Zeit die „Oldenburg“ aus
Kreta weggenommen, weil unser Interesse an der künftigen Gestaltung der
kretischen Verhältnisse lange nicht erheblich genug war, um dort die Be-
lassung eines deutschen Kriegsschiffes zu rechtfertigen. Dazu trat die be-
rechtigte Vermutung, daß die Neuordnung der kretischen Verhältnisse vor-
aussichtlich mit erheblichen Kosten verbunden sein würde. Wir glaubten
nicht, daß es den Intentionen dieses hohen Hauses entsprochen haben würde,
wenn wir gerade diese Kosten auf deutsche Schultern übernommen hätten.
Und endlich konnten wir uns bei der bisherigen Behandlung des kretischen
Problems nicht ganz der Einsicht verschließen, daß viele Köche nicht immer
den Brei verbessern. Vielleicht gelingt es den drei oder vier Mächten, was
der Gesamtheit der Mächte trotz ihres guten Willens nicht gelungen ist,
nämlich dauernde Ordnung auf Kreta zu stiften. Der Orientreise Sr. Majestät
des Kaisers sind vor Beginn derselben Motive und Ziele untergeschoben
worden, mit denen dieselbe nicht das mindeste zu thun hat. Der Lauf und
Erfolg der Reise hat bewiesen, wie völlig unbegründet diese in der aus-
ländischen Presse zu Tage getretenen Ausstreuungen waren. Man hat sich
bemüht, aus Anlaß dieser Reise uns allerlei abenteuerliche Pläne anzudichten
in Bezug auf unser Verhältnis gegenüber dem türkischen Reich, oder der
katholischen Kirche, oder dieser oder jener fremden Macht. Daß auch die
evangelischen Christen den Wunsch empfinden, ein Gotteshaus an jener ge-
heiligten Stätte zu haben, wie es seit langer Zeit die anderen Konfessionen
haben, wird kein billig Denkender leugnen. Der durchaus berechtigte Wunsch
der protestantischen Deutschen, an dieser Stätte, wo alle anderen Konfessionen
ihren Wohnsitz haben, eine Kirche zu erbauen, datiert übrigens nicht von
gestern. Schon der König Friedrich Wilhelm IV. war von dem Wunsch
erfüllt, in Jerusalem eine protestantische Kirche zu erbauen, und dem
Kaiser Friedrich als Kronprinz hat der damalige Sultan das Terrain dazu
geschenkt. Wenn der Sohn des Kaisers Friedrich nach 30 Jahren den
Wunsch empfunden hat, diese Kirche selbst einzuweihen, so liegt darin ein
Akt der Pietät gegen seinen Vorfahren, der überall gewürdigt worden ist
und der in seinem religiösen Empfinden frei ist von jeder Feindseligkeit
gegen andere Konfessionen. Der deutsche Kaiser hat den Beweis geliefert,
daß er in der That ein Kaiser aller Deutschen ist, und die durch ihn von
dem Sultan erworbene Dormition wird mit besonderer Genugthuung das
religiöse Empfinden der katholischen Unterthanen erfüllt haben. (Zu-
stimmung im Zentrum.) Man hat auch diese Gelegenheit benutzen wollen,
um den Sultan gegen uns mißtrauisch zu machen. Der Sultan ist ein
viel zu klar blickender Monarch, als daß er annehmen könnte, daß der
Kaiser Wilhelm II. im Morgenlande den Spuren von Boemund und
Tancred folgend der Türkei irgendwie entgegenwirken könnte. Das Mittel-