Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

188 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 12./15.) 
alter ist vorüber. Von unserer Seite ist alles vermieden, was die Empfind- 
lichkeit der mohammedanischen Welt verletzen, oder der Würde ihres Ober- 
hauptes zu nahe treten könnte. Andererseits sind Thatsachen hervorgetreten, 
welche die Hochachtung vor dem deutschen Reiche und dem deutschen Kaiser 
in der gesamten mohammedanischen Welt gezeigt haben. Endlich hat die 
Orientreise den fremden Regierungen gezeigt, daß es uns fern liegt, wohl- 
begründete Rechte zu verletzen, oder irgend welchen Anlaß zu Besorgnissen 
zu bieten. Wir bekämpfen im Orient auch nicht französische Interessen, 
aber ein fremdes Protektorat über deutsche Staatsbürger gibt es nicht. 
(Beifall im Zentrum) Wir sind weit entfernt, eine Schutzherrschaft über 
andere Staatsbürger in Anspruch zu nehmen, aber es steht dem Kaiser 
über die Deutschen zu. (Erneute Zustimmung.) Es trifft auch nicht zu, 
daß ein solches Protektorat erst durch die Orientreise des Kaisers begründet 
worden wäre. Dieses Protektorat bestand schon früher, es besteht seit dem 
18. Januar 1871. Wir haben 1875, 1878 und 1882 dieses Recht aus- 
drücklich gewahrt. Wie jeder souveräne Staat, besitzt das Deutsche Reich 
kraft seiner Souveränetät das Recht und die Pflicht, seine Angehörigen und 
deren Anstalten in fremden Landen zu schützen und allein zu schützen. 
(Allgemeine Zustimmung.) Und dieses Recht beruht auf unserer Reichs- 
verfassung, die im Artikel 11 dem deutschen Kaiser die völkerrechtliche Ver- 
tretung des Reichs zuspicht. Das gilt von dem Schutz aller Deutschen im 
Auslande, mögen dieselben Katholiken oder Protestanten sein. (Erneute 
Zustimmung im Zentrum.) Wir werden uns der Rechte unserer katholischen 
Unterthanen im Orient auch fernerhin gewissenhaft und treu annehmen. 
(Erneute Zustimmung im Zentrum.) Es sind auch zur Sprache gebracht 
worden die Ausweisungen fremder Unterthanen aus dem preußischen Staats- 
gebiet. Auf diese Angelegenheit einzugehen, hätte ich an sich eigentlich 
keine Veranlassung, da dieselbe, streng genommen, vor das Forum des 
preußischen Landtags gehört, aber das kann ich aussprechen, daß, wenn man 
geglaubt hat, daß durch diese Ausweisungen unsere Beziehungen zu andern 
Staaten getrübt werden könnten, ich Sie vollkommen beruhigen kann. Diese 
Ausweisungen sind ein Ausfluß unserer Souveränetät, welche wir von 
keinem Staat antasten lassen. (Beifall.) Dadurch werden unsere inter- 
nationalen Beziehungen nicht alteriert. Ueber einzelne Spezialfälle schweben 
zwischen den deutschen und den österreichisch- ungarischen diplomatischen 
Organen freundschaftliche und vertrauliche Besprechungen, welche den 
Charakter jener Intimität tragen, der unsere allgemeine Beziehung zu der 
österreichisch-ungarischen Regierung charakterisiert. Mehr möchte ich nicht 
sagen, denn ich glaube, daß ein Minister besser thut, über kleinere Diver- 
genzen mehr geschäftlicher Natur zwischen befreundeten Staaten nur in ver- 
söhnlichem Sinne und nach einiger Ueberlegung mit genauer Abmessung 
der Tragweite seiner Worte zu sprechen. (Beifall.) Der Dreibund ist nicht 
erschüttert worden, er gleicht einer Festung in Friedenszeiten, auf deren 
Glacis die Bäume mit jedem Jahre höher wachsen, was aber nicht hindert, 
daß im Falle des Krieges, den ich in diesem Augenblick nicht voraussehe 
und nicht wünsche, die Festung in kürzester Zeit sturmfrei gemacht werden 
kann. Alle drei Staaten haben ihre innere Autonomie und Selbständigkeit 
und stehen nach außen fest zusammen. Der Dreibund beruht auf klaren 
und einfachen Interessen. Jeder der drei Teilnehmer hat das gleiche 
Interesse an seinem Fortbestehen, und da er weit entfernt ist von offensiven 
oder aggressiven Plänen, so kommt er am letzten Ende allen Völkern und 
der großen Sache des europäischen Friedens zu gute. Ich kann aber bei 
dieser Gelegenheit nicht ganz die Bemerkung unterdrücken, daß es sich im 
allgemeinen empfiehlt, über bestehende, erprobte und zur Befriedigung aller
	        
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