Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 17./19.) 13
v. Berlepsch durchaus. Abg. Hüpeden (wild): Das Rundschreiben habe
niemand überrascht. Zur Verhütung des Streiks müßten die Einigungs-
ämter besser ausgebaut werden. Abg. v. Stumm (RP.): Die Einigungs-
ämter hätten bei uns ebenso wie in England nur bei kleinen Meinungs-
verschiedenheiten geholfen; bei großen Streitigkeiten haben sich die Arbeiter
niemals um die Schiedsgerichte gekümmert. Maßregeln gegen den Terro-
rismus der Arbeiter seien wichtiger als zum Schutz gegen die Willkür der
Arbeitgeber. Abg. Singer (Soz.): Dieser Erlaß ist ein tückischer, hinter-
listiger Schlag gegen die Arbeiterklasse, welcher zeigt, wohin der Kurs
geht. Die Revision der Unfallversicherung ist zurückgestellt, weil der Zen-
tralverband und die Vorstände der Berufsgenossenschaften sich dagegen aus-
gesprochen haben. Das Rundschreiben ist nur ein Zeichen der Abkomman-
dierung des Grafen Posadowsky vom Arbeiterschutz zum Arbeitertrutz. Am
folgenden Tage wendet sich Abg. v. Kardorf (RP.) gegen den Abg. Singer.
Die Koalitionsfreiheit werde nicht angetastet, aber man könne den Gewerk-
vereinen nicht Korporationsrechte geben, weil man dadurch viele tausende
Arbeiter von der Sozialdemokratie abhängig mache. Die Zunahme der
sozialdemokratischen Stimmen sei hervorgerufen durch die Aufhebung
des Sozialistengesetzes, den Kurs Berlepsch und den Niedergang der Land-
wirtschaft. Abg. Dr. Lieber (Z.): Der „vertrauliche" Erlaß enthalte einst-
weilen als „Umfrage“ nicht Ungewöhnliches und er ist durchaus berechtigt.
Nach der Programmrede des Grafen von Posadowsky vom 13. Dezember
v. J. konnte er allerdings Mißtrauen erregen. Das Zentrum werde, seiner
alten Stellungnahme getreu, die durch Streikende terrorisierten Nichtstreiker
zwar zu schützen bereit sein, in Bezug auf die Koalitionsfreiheit aber auf
vollständig gleicher Behandlung der Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehen.
17./19. Januar. (Preuß. Abgeordnetenhaus.) Erste Be-
ratung des Staatshaushalts. Eisenbahnangelegenheiten. Steuer-
fragen.
Abg. Sattler (nl.): Der Finanzminister habe das Verdienst, den
Einfluß des Finanzministeriums auf die übrigen Ressorts wieder zur Gel-
tung gebracht zu haben, wie es nötig sei; vielleicht sei er in dieser Richtung
schon etwas zu weit gegangen. Es sei anzuerkennen, daß der Etat viele
formale Verbesserungen aufweise und auch für Kulturaufgaben Mittel be-
reitstelle. Für die Unterbeamten müsse noch mehr geschehen und auch das
Gehalt der Geistlichen müsse erhöht werden. Abg. Frhr. v. Zedlitz und
Neukirch (frkons.) ist befriedigt von der günstigen finanziellen Lage und
fordert eine Anzahl Reformen, so im Verkehrswesen, Herabsetzung der
Tarife und Ausbau der Eisenbahnen, ferner die Medizinalreform und Besser-
stellung mehrerer Beamtenklassen. Abg. v. Strombeck (Z.) schließt sich
diesen Wünschen an, wünscht aber volle Parität zwischen den Geistlichen
beider Konfessionen. Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.): Der Etat
beweise durch die niedrigen Erträge der Domänen den Rückgang der Land-
wirtschaft, dem die Regierung nicht genug zu steuern suche. Abg Richter
(frs. Vp.): Der Finanzminister unterschätze die Gefahren der Centralisation,
die in allen neueren Steuergesetzen zu Tage trete. Der Redner greift die
Regierung scharf an, weil sie die oppositionellen Parteien mit willkürlichen
polizeilichen Chikanen verfolge. — Am folgenden Tage wendet sich Abg.
v. Eynern (nl.) gegen die allzu scharfe Steuereinschätzung; Preußen sei
mit direkten Steuern mehr als ein anderer Staat belastet, man müsse die
Ueberschüsse zu Steuererlassen benutzen. Die Eisenbahnverwaltung müsse
von der allgemeinen Finanzverwaltung getrennt werden, da sie unter dieser