204 Hie Gesrerreichisch-Angerische Monarchie. (März 21.)
auch Vertreter der bisherigen Opposition aufnehmen, so würde dadurch das
Verhältnis der Rechten gegenüber der Regierung des Grafen Thun wohl
noch kein geradezu feindseliges werden müssen, allein es könnte nicht jenes
Verhältnis sein, das in so ernster Zeit zwischen der Regierung und der
Mehrheit des Parlaments unerläßlich ist.
Die Vorstände der deutschen Fortschrittspartei und der deutschen Volks-
partei erklären, daß auch die neuen Sprachenverordnungen für die Deutschen
unannehmbar seien, und daß nach wie vor auf eine den Rechten des deutschen
Volkes entsprechende gesetzliche Regelung der Sprachenfragen mit allen
Mitteln zu dringen sei. Gegenüber dem Kabinett Thun erscheine sowohl
nach seiner Zusammensetzung, als auch nach den Parteien, auf die es sich
zu stützen beabsichtige, das vollste Mißtrauen und entschiedene Gegnerschaft
berechtigt. Der Eintritt Bärnreither's in das Kabinett erscheine um so be-
dauerlicher, als auch durch die geänderte Stellungnahme des verfassungs-
treuen Großgrundbesitzes die bisherige Einigkeit der deutschen Parteien durch-
brochen sei. Die beiden Parteien würden der ruhigen Konstituierung des
Abgeordnetenhauses kein Hindernis bereiten, aber schon in der ersten Sitzung
einen Antrag auf gesetzliche Regelung der Sprachenfrage, sowie einen An-
trag auf Erhebung der Anklage gegen den Grafen Badeni wegen des Ein-
dringens der Polizei in das Parlament und wegen gewaltsamer Hand-
lungen an Abgeordneten einbringen.
Die Mehrheit des deutschen Grundbefitzes billigt den Eintritt Bärn-
reithers in das Kabinett, der unter der Verwahrung erfolgt sei, daß die
geltende Verfassung strenge gewahrt, die Interessen der Deutschen nicht
verletzt werden und der Partei Bärnreithers volle Handlungsfreiheit ge-
wahrt bleibe. Selbstverständlich könne daher keine Rede davon sein, daß
der verfassungstreue Großgrundbesitz zu dem Kabinett Thun in das Ver-
hältnis einer Regierungspartei trete, vielmehr behalte sich diese Gruppe ihre
vollkommene Aktionsfreiheit vor. — In der Presse und in Versammlungen
wird die Haltung der Großgrundbesitzer vielfach scharf kritisiert.
Die Deutsch-Nationalen beschließen an der Obstruktion festzuhalten.
21. März. (Wien.) Eröffnung des Reichsrats. Präsidenten-
wahl im Abgeordnetenhause. Antrittsrede Thuns.
Ueber die Eröffnungssitzung berichtet die „Tägl. Rundsch.“: An der
Wahl des Präsidenten beteiligen sich die Deutschen nicht. Abgegeben werden
240 Stimmzettel, davon 44 leer. Gewählt wird der Klerikale Dr. Fuchs
mit 194 Stimmen. Bei Verkündigung des Ergebnisses ruft Schönerer:
„Unerhört! Ein Mitglied des Präsidiums der 13. Session wird Präsident!
Er gehört ins Zuchthaus; in jeder Sitzung werde ich das wiederholen."“
Der Präsident spricht völlig unverständlich. Schönerer ruft unausgesetzt:
„Herunter mit ihm, ins Zuchthaus. Wir verwahren uns dagegen, daß ein
Zuchthäusler das Hoch auf den Kaiser ausbringt.“ Wolf: „Gibt es ein
größeres Verbrechen, als den Verfassungsbruch?"“ Schönerer: „Ins Zucht-
haus!“ Fuchs spricht weiter. Wolf: „Wenn ein Hungriger ein Stück
Brot nimmt, wird er eingesperrt, wenn einer die Verfassung bricht, wird
er in Oesterreich zu hohen Aemtern berufen.“ Unter fortwährenden Zu-
rufen beendet der Präfident seine Rede und bringt ein Hoch auf den Kaiser
aus. In seiner Rede hatte der Präsident auch die lex Falkenhayn (vgl. 1897,
S. 215) erwähnt und erklärt, daß dieselbe nach seiner Ansicht nicht mehr
bestehe. Gegen diese Auffassungen wenden sich nun Erklärungen der Sprecher
der Fortschrittspartei, der deutschen Volkspartei, der Christlichsozialen, der
deutschen Großgrundbesitzer und der Sozialdemokraten; sie betonen, daß die
lex Falkenhayn nie zu Recht bestanden habe und deshalb auch nicht er-