Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Die Oesterreitisq·Angarische Menarhie. (Mai 12.) 215 
Mächten unterstützte Intervention des Papstes, noch das weitgehendste Ent- 
gegenkommen der spanischen Regierung vermochten den bedenklichen Waffen- 
gang hintanzuhalten, der in kommerzieller Hinsicht auch für die Unbeteiligten 
harte Opfer mit sich bringen dürfte. Die Neutralität, die wir uns diesfalls 
auferlegten, nötigt uns zur strengsten Reserve. Keiner von uns wird sich 
aber dem tiefen Bedauern darüber verschließen wollen, daß diese schwere 
Prüfung einer mit den seltensten Herrschertugenden ausgestatteten Regentin 
und ihrem Volke nicht erspart werden konnte, und gewiß begegnen wir 
alle uns in dem Wunsche, daß es baldigst gelinge, durch einen billigen 
Friedensschluß diesem vom humanitären und wirtschaftlichen Standpunkt 
höchst beklagenswerten Schauspiel ein Ende zu machen."“ 
In der zweiten Hälfte des Exposés verbreitete sich der Minister 
über die wirschaftliche Politik Oesterreich-Ungarns, indem er neuerdings auf 
seine im Vorjahre ausgedrückte Ueberzeugung hinwies, daß beim Eintritt 
des nächsten Jahrhunderts die Lösung großer handelspolitischer Probleme 
bevorstehe, und man einem allgemeinen handelspolitischen Ringen ums 
Dasein entgegengehe. Der gegenwärtige Stand der österreichisch-ungarischen 
Kriegsmarine, welcher kaum mehr für die Sicherheit der Küste ausreiche, 
sei vollkommen unzulänglich für jede weitausblickende handelspolitische 
Aktion. Somit sei die baldigste Remedur notwendig, wenn Oesterreich- 
Ungarn nicht auf den Wettbewerb in den neu sich erschließenden Absatz- 
gebieten von vornherein verzichten solle. Es handle sich gewiß nicht um 
kostspielige, in das staatsrechtliche Gefüge der Monarchie schwer einzu- 
reihende Kolonien, sondern um den Schutz und die Unterstützung des 
Handelsstandes und des Unternehmungsgeistes, wofür eine tüchtige Kriegs- 
marine unerläßlich sei, welche der Monarchie, wenigstens den Seemächten 
zweiten Ranges gegenüber, eine Achtung gebietende Stellung sichern könne. 
Deshalb habe das gemeinsame Kriegsministerium das erhöhte Budget- 
erfordernis vorgelegt, als ersten bescheidenen Schritt zur Sanierung der 
Marineverhältnisse, dem hoffentlich ein rascheres Tempo in nächster Zukunft 
folgen werde, da keine Zeit mehr zu verlieren sei, denn die Ausgestaltung 
der Seemachtmittel sei nicht bloß vom Standpunkt der Wehrkraft, sondern 
auch von dem der Handelspolitik eine Lebensfrage geworden. Als weiteres 
Mittel bezeichnete der Minister eine zeitgemäße Reform der Ausbildung, 
Erziehung und Vorbereitung der Konsularfunktionäre, sowie die Vervoll- 
ständigung des Netzes der Effektivkonfulate, indem er hervorhob, in beiden 
Richtungen entwickele das Ministerium des Auswärtigen unausgesetzte Für- 
sorge. Eine unter Zuziehung von Fachautoritäten eingesetzte Kommission 
sei gegenwärtig mit der Ausarbeitung eines neuen Studienplans der orien- 
talischen Akademie beschäftigt. Die Aktivierung eines neuen Programms 
könne für den nächsten Winter in sichere Aussicht genommen werden. Am 
Schluß des Exposés appellierte der Minister eindringlich unter Hinweis 
darauf, daß die Aktionsfähigkeit des Staates an gewisse Grenzen gebunden 
sei, und daß das eigentliche Prinzip des wirtschaftlichen Aufschwungs nur 
in der Privatinitiative bestehe und gefunden werden könne, an den Unter- 
nehmungsgeist und die Schaffenslust der Handels= und Industriekreise 
Oesterreich-Ungarns, indem er hervorhob: Platz für eine ausgiebige Pflege 
österreichisch-ungarischer Exportinteressen sei vorhanden, nur müsse man ihn 
rechtzeitig zu erobern wissen. Als geeignetes Mittel hierzu empfahl der 
Minister die Gründung möglichst zahlreicher Faktoreien, Kontore und großer 
Exportsyndikate, die Ausgestaltung der Handelsmarine parallel mit der 
Gründung einer Kriegsmarine und die Ausbildung eines noch fehlenden 
tüchtigen Standes Geschäftsreisender. Das sei die Vorbedingung einer 
gedeihlichen Handelspolitik. 
 
	        
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