222 JZie Gesterreichisch-Angarische Menarchie. (Juni 24. Juli.)
In der tschechischen Presse wird Komarows Rede mit Jubel begrüßt,
in der deutschen heftig angegriffen. Das halbamtliche „Fremdenblatt“ be-
tont, daß die höchst taktlose Rede des Generals Komarow bei Gelegenheit
der Palackyfeier in Prag die gesamte öffentliche Meinung Oesterreichs be-
schäftige. Komarow als Redakteur kann durchaus nicht als berufener Ver-
treter der öffentlichen Meinung seines Landes gelten, er genießt vielmehr
samt seinem Blatte in den maßgebenden Kreisen Rußlands die gründlichste
Mißachtung. Dem genannten Generale wurde übrigens seitens der Behörde
nicht nur der Mißbrauch der Uniform vorgehalten, sondern auch sofort
nach Bekanntwerden der Rede sehr deutlich bemerkt, wie unstatthaft es sei,
daß ein fremder Bürger eines befreundeten Reiches sich herausnehme, der.
gleichen Reden in einem Lande zu halten, wo nationale Gegensätze herrschen
und wo daher naturgemäß solche Aeußerungen den Charakter beabsichtigter
Friedensstörungen annehmen. Komarow dankt es lediglich der traditionellen
Gastfreundschaft Oesterreichs, daß gegen ihn nicht noch ganz anders vor-
gegangen wurde und daß er noch innerhalb der schwarz-gelben Grenzpfähle
verweile.
Auch die polnische Presse erklärt sich gegen die russisch-tschechische
Verbrüderung. Der „Dziennik Polski“ schreibt: Wir wollen dem Herrn
General sagen, daß wir von solchen „Brüdern" wie er und seinesgleichen
sind, nichts wissen wollen und daß wir sie vor der ganzen Welt verleugnen
werden. Die naiven Tschechen konnten sich für diesen Publizisten in der
Generalsuniform begeistern, die Polen sind nicht im stande, die Begeisterung
für die Kosakenknute zu bekunden. Die ganze Politik Rußlands uns gegen:
über beruht auf Lüge und Raffinement. Die Versicherungen der Bruder-
liebe seitens des Generals Komarow prallen an uns ab, ohne irgend einen
Eindruck zu erzielen.
24. Juni. (Wien.) Zur Feier des 50jährigen Regierungs-
jubiläums findet ein Festzug von 70000 Schülern und Schülerinnen
vor dem Kaiser statt.
Juli. (Cisleithanien.) Verhandlungen zwischen der Re-
gierung und der Opposition über die Sprachenfrage.
Ministerpräsident Graf Thun fragt die Obmänner der deutschen
Parteien, ob sie geneigt sind, mit der Regierung über die Regelung der
Sprachenfrage zu beraten. Die Obmännerkonferenz antwortet (10. Juli):
Die unverzügliche Aufhebung der Sprachenverordnungen für Böhmen und
Mähren erscheint nach wie vor als das einzige Mittel zur Wiederherstellung
geordneter staatlicher Berhältnisse und gewährt die sicherste und begründetste
Aussicht, den Reichsrat wieder arbeitsfähig zu machen. Die wachsende
Unsicherheit der Lage, die Ungewißheit über die allgemeinen politischen
Absichten der Regierung, sowie die Erfahrungen, welche die Deutschen im
Laufe der letzten Jahre gemacht haben, nötigen zu äußerster Vorsicht. Die
versammelten Obmänner müssen daher ihre Entscheidung darüber, ob sie
mit der Regierung in Besprechungen über die gesetzliche Regelung der
Sprachenfrage eintreten können, von der vorausgehenden vollen Kenntnis
sowohl der Grundsätze der Regierung auf diesem Gebiete, wie auch ihrer
Durchführung in den einzelnen Verwaltungszweigen abhängig machen. Es
bleibt somit vorerst der Regierung anheimgestellt, auf geeignetem Wege in
authentischer Form die entsprechenden Aufschlüsse zu geben. — Graf Thun
teilt den deutschen Klubs hierauf den Entwurf seines Sprachengesetzes ver-
traulich mit. Nach einer Beratung erklärte die Obmännerkonferenz, daß
die von der Regierung bekannt gegebenen „Grundsätze für eine gesetzliche