Bie Gesterreichisch-Ausarische Monarchie. (September 21.—29.) 227
21. September. (Pest.) Abgeordnetenhaus. Anfrage über
Vorgänge bei der Leichenfeier.
Im Finanzausschuß befragt Komjathy (Unabhängiger) den Minister-
präsidenten wegen „angeblicher Verletzung des Staatsrechtes bei der Leichen-
feier der Königin von Ungarn in Wien“". Ministerpräsident Bauffy:
Er erkenne nicht an, daß eine Beschimpfung der Souveränetät Ungarns
vorgekommen sei; auch hätten sich Verletzungen des Staatsrechtes nicht er-
eignet. Er ziehe nicht in Zweifel, daß die im ersten Augenblick unter den
niederschmetternden Eindrücken getroffenen Verfügungen Einiges zu wünschen
übrig gelassen, doch sei all dies gut gemacht worden. Die etwa vorge-
kommenen Ordnungswidrigkeiten bildeten keine Verletzungen des Staats-
rechtes. Eine selbstbewußte Regierung könne im Augenblicke einer so tiefen
Trauer nicht auf Kleinlichkeiten sich einlassen, oder Gelegenheit suchen, zu
beweisen, daß nie etwas ohne Beschwerden vorübergehen könne. Ungarns
Würde und Ansehen geböten, den Augenblick der großen Trauer nicht mit
solchen Geringfügigkeiten zu befassen.
27. September. (Cisleithanien.) Die deutschen Abgeord-
neten und die Obstruktion.
Die Obmänner der deutschen Fortschrittspartei und der Volkspartei
beschließen, die erste Lesung der Ausgleichsverhandlungen zuzulassen und
sie nicht durch Obstruktion zu hindern. Es soll hierdurch verhindert werden,
daß der als schädlich erkannte Badenische Ausgleich im Wege der Notver-
ordnung nach § 14 des Staatsgrundgesetzes aufgezwungen werde. — Die
„Tägliche Rundschau“ schreibt über diesen Beschluß: Bekanntlich ist es
nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Kabinetten Thun und Banffy
endlich gelungen, zu einem Abschluß über den nächsten Ausgleich, insbe-
sondere über die Erhaltung der Zollunion, sowie über die gemeinsame Bank
zu schreiten. Baron Banffy wird im ungarischen Parlament Gesetze vor-
legen, in denen Ungarn aus eigenem Recht und nicht gemäß einem Ver-
trage die neuen Vereinbarungen festlegt, während Graf Thun sie auf Grund
des § 14 in Oesterreich verkündigen will. Abgesehen von ihrer Abhängigkeit
von den deutschfeindlichen böhmischen Magnaten ist die österreichische Re-
gierung durch die von ihr eingeschlagene Taktik zu dem festen Entschluß
gekommen, keinen Akt des Entgegenkommens gegen die Deutschen zu üben.
Mit einer Art Trotz hält es Graf Thun nach den früheren vergeblichen
Versuchen, das österreichische Parlament flott zu machen, für wünschens-
werter, über die Köpfe des Parlaments hinweg, gewissermaßen auf absolu-
tistischem Wege, zum Abschluß mit Ungarn zu gelangen. Wenn nun die
Deutschen ihre Obstruktion für diesen besonderen Fall aufgeben würden, so
daß das österreichische Parlament zur Beratung des Ausgleichs gelangte,
so wäre dies im gegenwärtigen Zeitpunkt geradezu eine Störung des vom
Grafen Thun einmal gefaßten Feldzugsplans. Die Beratungen des Parla-
ments könnten sich wochen= und monatelang hinziehen, ohne daß das Er-
gebnis sicher wäre. So wäre dem Kabinett Thun ein Strich durch die
Rechuung gemacht und die Sachlage in dessen Augen verwickelter.
26. September. (Wien.) Der Reichsrat wird eröffnet. —
Im Abgeordnetenhause wird das frühere Präsidium wiedergewählt.
29. September. (Wien.) Im Abgeordnetenhause erklären
die Vertreter der verfassungstreuen Großgrundbesitzer, der Christlich-
Sozialen, der Fortschrittspartei, der Deutschen Volkspartei und der
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