Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

256 Greßbritaunien. (April 5.) 
britische Interessen in China — er beschränke dies aber nicht nur auf 
China, sondern glaube, daß dieses uneingeschränkt wahr sei — mit ein- 
ander übereinstimmend. Eifersüchteleien möchten zwischen einzelnen Per- 
sonen bestehen, aber die grundlegenden Interessen der beiden Länder müßten 
dieselben sein. Er glaube zuverlässig, daß die beiden Länder im stande 
sein würden, Hand in Hand die allgemeinen kommerziellen Interessen 
wahrzunehmen. Rußland habe von Zeit zu Zeit besondere Zusicherungen 
abgegeben, aber die Form dieser Zusicherungen sei nicht immer genau die- 
selbe gewesen. Immerhin stimmten diese Zusicherungen darin überein, daß 
kein britisches Vertragsrecht durch das russisch-chinesische Uebereinkommen 
berührt werden dürfe. Er könne nicht die russische Handelspolitik in China 
auseinandersetzen, aber nach der Ansicht Großbritanniens würde Rußland, 
wenn es seine Politik auf die Ausdehnung der sibirischen Bahn bis zu 
einem eisfreien Hafen beschränkt hätte, alle kommerziellen Vorteile erlangt 
haben, die es suche, ohne das Gleichgewicht in Peking zu stören. Unglück- 
licherweise hätten die russischen Staatsmänner eine entgegengesetzte Ansicht 
ehabt. Sie hätten beschlossen, Port Arthur in Besitz zu nehmen, das 
ein Handelshafen sei und sich kaum dazu eigne, ein solcher zu werden. 
Seine Bedeutung sei rein maritimer und militärischer Natur. Rußland 
selbst habe im Jahre 1895, als es sich der Besetzung durch Japan wider- 
setzte, erklärt, daß die Besetzung Port Arthurs eine fortdauernde Drohung 
Peking gegenüber bedeute. Großbritannien wünsche kein Monopol für den 
Einfluß in Peking. Es wünsche durchaus nicht, Rußland von einem ent- 
sprechenden Einflußanteile auszuschließen. Rußland habe dem chinefischen 
Reich durch die Besitznahme Port Arthurs, das durch seine Lage die Zu- 
gänge nach Peking von der See aus beherrsche, einen Schlag versetzt. 
Deshalb habe die Regierung, sobald fie Kenntnis von dem Fortschreiten 
der Verhandlungen über Port Arthur erlangt, der russischen Regierung 
ihre Ansicht darüber mitgeteilt, welchen Nachteil dieser Schritt für China 
habe und welchen Gefahren Rußland sich durch denselben aussetze. Sie 
habe Rußland vorgeschlagen, von der Besitznahme dieses Hafens abzustehen, 
während sie ihrerseits sich habe verpflichten wollen, von keinem Hafen im 
Golf von Petschili Besitz zu ergreisen. Rußland habe den Vorschlag ab- 
gelehnt, worauf es benachrichtigt worden sei, daß Großbritannien für sich 
die Freiheit beanspruche, die zum Schutze der britischen Interessen not- 
wendig erscheinenden Schritte zu thun. Großbritannien habe Wei-Hai-Wei 
unter denselben Bedingungen erhalten, wie Rußland Port Arthur. Die 
Lage von Wei-Hai-Wei im Golf von Petschili sei eine derartige, daß sie 
der Besitznahme von Port Arthur das Gleichgewicht bieten dürfte. Durch 
die Besitzergreifung von Wei-Hai-Wei habe Großbritannien verhindert, daß 
der Golf von Petschili in maritimer Hinsicht in die Gewalt einer einzelnen 
Macht komme. Großbritannien habe das Bestreben, so lange als möglich 
die Integrität Chinas zu wahren. Man müsse sich vergegenwärtigen, daß 
die Zukunft ungewöhnliche Ueberraschungen bringen könne. Die Macht- 
verhältnisse im fernen Osten dürften sich verschieben, wenn die Integrität 
Chinas verletzt werde. Wenn dieser Fall eintrete, zu welcher Zeit es auch 
sein möge, wenn die Großmächte ihn einmal in ihrem Interesse liegend 
fänden, dann werde es ein Akt der Politik sein, zu sagen, China solle 
nicht in die Hand einer einzelnen Macht fallen, ein Akt der Politik, sich 
in ein schwieriges, kostspieliges Unternehmen einzulassen, um eine unüber- 
sehbare Gefahr abzuwenden und aus der Welt zu schaffen. Die Regierung 
bitte das Land, ihrer Politik mit dem größten Vertrauen beizutreten, denn 
sie wisse, daß diese ihre Politik die Sympathie jeder großen Handels- 
gemeinschaft der Welt habe. 
  
 
	        
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