Grofbritannien. (Mai 17.) 259
Mai. Die Presse über Chamberlains Rede.
Chamberlains Rede findet im allgemeinen Beifall in der Presse,
namentlich seine Bemerkungen über das Bündnis mit Amerika, da England
künftig ohne Zweifel mit Bündnissen zu kämpfen haben werde. Einige
Zeitungen äußern Bedenken. So schreibt der „Standard“: Chamberlain
hat genug gesagt, um die öffentliche Meinung über eine England bedroh-
ende Kombination zu beunruhigen; aber nicht genug, um die Gründe für
diese Besorgnis anzuführen. Dies ist nicht der Ton nüchterner Staats-
klugheit. „Observer"“: Besonders gefährlich erscheint uns der kaum ver-
hehlte Wunsch Chamberlains, einen neuen Dreibund, aus Deutschland,
Oesterreich und England bestehend, gegen Rußland auf die Beine zu bringen.
Unser furchtbarster Mitbewerber im Handel ist Deutschland. Seinen Mit-
bewerb in China haben wir zu fürchten, nicht den Rußlands. Außerdem
ist Deutschland der Urheber von allen den Wirren in China gewesen.
Die Politik Deutschlands ist es stets gewesen, seitdem Bismarck sie geformt
hat, auf freundschaftlichem Fuße zu Rußland zu stehen und Zwietracht
zwischen England und Frankreich zu säen.
Ueber die Aufnahme der Rede in Amerika schreibt die „Times“:
Die Rede Chamberlains hat bis jetzt auf dieser Seite des Ozeans mehr
Stoff zum Nachdenken als zur Besprechung gegeben. Die kürzlichen Er-
eignisse haben den Gedanken eines freundschaftlichen Einverständnisses
zwischen England und den Vereinigten Staaten den Amerikanern nahe
gelegt. Aber kein Engländer hat vor Chamberlain die Möglichkeit wirk-
lichen militärischen Zusammenwirkens so lebhaft dargestellt. England und
Amerika gegen die Welt — das sollen die Amerikaner sich überlegen. Man
überlegt sich das in den Vereinigten Staaten.
Nach der „Tägl. Rundschau“ ist Chamberlains Rede die Antwort
auf die antienglischen Aeußerungen des Fürsten Uchtomski (val. Rußland).
17. Mai. (Oberhaus.) Kimberley und Salisbury über
die Rede Chamberlains. Die Lage in Ost-Afien, der Wert von
Wei-Hai--Wei.
Lord Kimberley, der Führer der Opposition, fragt, welche Ab-
sichten die Regierung in betreff der Besetzung von Wei-Hai-Wei habe. Er
bezweifele, da die Vorzüge des Platzes für den Seemann so große seien,
wie angenommen werde, denn diese Vorzüge seien auf einen bestimmten
Teil Chinas beschränkt. Er könne nicht verstehen, warum die Regierung
nicht vorausgesehen habe, daß Rußland seine Macht über die Mandschurei
ausdehnen und, nachdem es einen eisfreien Hafen erhalten habe, denselben
zu einer Basis für seine Flotte machen werde, und warum die Regierung
diese Erwägung nicht zur Grundlage ihrer Politik gemacht habe. Die Be-
setzung von Wei-Hai-Wei bringe Großbritannien in diesem Teile der Welt
in direkten Gegensatz zu Rußland. Er könne nicht einsehen, wie, während
Rußland die Mandschurei mit einer großen Truppenmacht besetze, der Besitz
von Wei-Hai-Wei Großbritannien befähigen solle, dem Vordringen Ruß-
lands ein Gegengewicht zu bilden. Auf die Rede Chamberlains in Bir-
mingham übergehend sagt der Lord, mit der von Chamberlain angedeuteten
Allianz könne nur eine solche zur gegenseitigen Verteidigung gegen Rußland
gemeint sein. Sei der Augenblick für eine große Veränderung gekommen,
so sei auch die Regierung vielleicht schon so weit, daß das Haus von einer
großen Allianz mit einer europäischen Macht hören werde. Er könne sich
eine Allianz mit den Vereinigten Staaten nicht denken, weil eine solche
nicht mit der Politik Amerikas im Einklang stehen würde; sollte aber der
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