Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

FKrankreich. (Februar 12.—24.) 273 
haben. Man hat der Armee den Krieg erklärt. Ich habe die bewunderns- 
werte Rede von Jaurds gehört, worin Jaurès zu behaupten wagt, daß 
der Generalstab die zukünftigen Niederlagen vorbereite. Ich habe keine 
Seele aus Kristall, wie man von Scheurer-Kestner behauptet, aber ich habe 
ein Soldatenherz, das sich gegen all die Infamien, die man über uns aus- 
geschüttet hat, auflehnt; ich kann diese Infamie nicht mehr ertragen und 
sage, daß es ein Verbrechen ist, der Armee das Vertrauen, das sie zu ihren 
Führern hat, zu nehmen. Denn wenn die Soldaten kein Vertrauen mehr 
zu ihnen haben, was sollen ihre Führer dann am Tage der Gefahr thun, 
der vielleicht näher ist, als man glaubt?! (Aufregung.) Wissen Sie, was 
das bedeutet, meine Herren Geschworenen? Das bedeutet, daß man Ihre 
Söhne zur Schlachtbank führen wird, aber Zola wird mit einem neuen 
Buche eine neue Schlacht gewinnen und ein neues „Débacle“ schreiben und 
seinen Sieg vor einem Europa genießen, von dessen Karte Frankreich ge- 
strichen ist." (Sensation.) Pellieux fügt hinzu: „Man spricht jetzt viel 
von der Wiederaufnahme des Dreyfus-Verfahrens. Ich erkläre hier in 
meinem und im Namen aller meiner Kameraden, daß die Wiederaufnahme 
uns gleichgültig ist; wir wären sogar glücklich gewesen, hätte das Kriegs- 
gericht von 1894 Dreyfus freigesprochen, denn dann wäre dargethan ge- 
wesen, daß es in der französischen Armee keinen Verräter gibt, während 
wir jetzt trauern müssen, daß es einen gegeben hat. Aber wir können 
nicht zugeben, daß man das Kriegsgericht von 1898 beschimpft, weil es 
sich geweigert hat, einen Unschuldigen an die Stelle des Schuldigen zu 
setzen. (Beifall und große Bewegung.) 
Am 23. Februar wird Zola wegen Beschimpfung der Armee zu 
einen Jahr Gefängnis, 3000 Francs Geldstrafe und in die Kosten ver- 
urteilt. 
12. Februar. (Deputiertenkammer.) In einer Diskussion 
über den Zolaprozeß erklärt der Kriegsminister Billot: 
„Dreyfus ist gerecht und regelrecht verurteilt; er ist ein Verräter 
und ist schuldig. Wenn man angesichts wahnbethörter Leidenschaften zur 
Forderung der Revision des Prozesses gelangen sollte, müßte man sich einen 
anderen Kriegsminister suchen.“ Die Erklärung wird von der Kammer 
mit Beifallssturm aufgenommen. 
18. Februar. (Paris.) Der neuernannte russische Botschafter 
Urussow überreicht dem Präsidenten Faure sein Beglaubigungs- 
schreiben. 
24. Februar. (Kammer.) Debatte über die Rolle der 
Generale im Zolaprozeß. Rede Molines. 
Abg. Hubbard interpelliert über den Zolaprozeß. Er berührt 
das Eingreifen der Generale Pellieux und Boisdeffre im Prozeß Zola und 
wünscht zu wissen, ob sie mit Genehmigung des Kriegsministers oder auf 
dessen Befehl eingegriffen hätten. Er schließt mit der Aufforderung an 
die Regierung, dem Lärm in den Straßen ein Ende zu machen. Viviani 
erklärt, die Sozialisten seien darüber einig, daß die Civilgewalt über der 
Militärgewalt stehen müsse, spricht von einem Bündnis zwischen den Führern 
der Armee und der Kirche und äußert die Befürchtung, daß die Freiheit 
bedroht werde. Er beantragt, die Kammer solle gegen die Haltung der 
Generale in dem Zolaprozeß Einspruch erheben. Ministerpräsident Méline: 
Billot habe den Generalen keine Befehle gegeben. Die der Armee gemachten 
Vorwürfe seien ungerechte; es gäbe nicht einen einzigen Offizier, der fähig 
Europäischer Geschichtskalender. Bd. IXIx. 18 
 
	        
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