Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Frankreich. (Juni 1.—30.) 277 
1. Juni. Zusammentritt der Kammern. — In der De- 
putiertenkammer kommt es bei der Präfidentenwahl zu stürmischen 
Scenen; erst am folgenden Tage wird Deschanel (Republ.) gegen 
Brifson (Rad.) mit 282 gegen 278 Stimmen gewählt. 
14. Juni. (Paris.) Hanotaux und der britische Botschafter 
Monson unterzeichnen das Abkommen über das streitige Gebiet am 
Niger. Hierdurch werden alle französischen Kolonien in ihren 
Hinterländern verbunden. Frankreich erhält durch die Konvention 
das ganze Ostufer des Tsad-Sees von Barma bis zur Schari- 
Mündung. 
14. Juni. (Deputiertenkammer.) Das Ministerium tritt 
zurück, da gegen Mélines Antrag ein Antrag angenommen wird, 
der zwar Mélines Politik billigt, aber die Forderung enthält, daß 
die Regierung sich auf eine rein republikanische Majorität stützen solle. 
28. Juni. Nachdem der Präsident Faure mit mehreren 
Politikern vergeblich unterhandelt hat, wird folgendes Ministerium 
gebildet: Brisson, Vorsitz und Inneres; Delcaffé, Außeres; Pey- 
tral, Finanzen; Sarrien, Justiz; Bourgeois, Unterricht; Cavaignac, 
Krieg; Lockroy, Marine; Trouillot, Kolonien; Maruejouls, Handel; 
Viger, Landwirtschaft; Senator Tillaye, öffentliche Arbeiten; Mou- 
geot, Posten und Telegraphen. 
30. Juni. (Deputiertenkammer.) Ministerpräs. Brifson 
legt sein Programm vor. 
Brisson verliest eine Erklärung, in der es heißt, die Regierung 
wünsche, daß das Parlament sich hauptsächlich mit zwei Grundreformen 
beschäftige, mit der Steuerreform und mit der Frage der Altersversorgung 
der städtischen und ländlichen Arbeiter. Unabhängig von diesen beiden 
Hauptreformen werde die Regierung Gesetzentwürfe, betreffend die Erb- 
schaftssteuer, die Reform der Getränkesteuer und die Schaffung von Land- 
wirtschaftskammern, vorschlagen. Ueber die auswärtige Politik sagt er: 
Keine Opfer sind zu groß, wenn das Land weiß, daß alle Mittel, welche 
den Verwaltungen des Krieges und der Marine gewährt werden, auch 
wirklich zur Vermehrung der Macht unserer Flotte und unseres Heeres, 
dieser beiden Lieblingskinder unseres Vaterlandes, dienen. Treu festhaltend 
an einer Allianz, welche populär und durch die Zeit bereits geheiligt ist, 
wird unsere auswärtige Politik von dem nationalen Geiste durchdrungen 
bleiben, in dem dieser große Akt geschlossen wurde. Die auswärtige Politik 
der Regierung wird den Patriotismus, die Moral und die materiellen 
Interessen Frankreichs mit gleicher Wachsamkeit schirmen. Ebenso werden 
wir das Land für jenes große Rendezvous des Friedens, die Weltaus- 
stellung, vorbereiten. Die Regierung sichert jeder Meinung gleiche Achtung 
zu, sie verpflichtet sich, einer jeden gleiche Freiheit und gleiche Gerechtigkeit 
zu gewähren, und fie erkennt den Nutzen der Opposition an. — Die 
Kammer billigt die Erklärung mit 316 gegen 230 Stimmen. 
 
	        
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