Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

278 FKrankreich. (Juli 4. 7.) 
4. Juli. Untergang des Dampfers „Bourgogne“. S. Nord- 
Amerika. — Es laufen in Paris viele Beileidsdepeschen ein, dar- 
unter auch vom Deutschen Kaiser. 
7. Juli. (Deputiertenkammer.) Erklärung Cavaignacs 
über die Dreyfusfrage. Seine Beweise für Dreyfus'’ Schuld. 
Auf eine Interpellation über die Dreyfusfrage und eine Aufforde- 
rung des Abg. Castalin an die Regierung, der Agitation der Dreyfus- 
partei ein Ende zu machen, erwidert der Kriegsminister Cavaignac: 
Die erste Aufgabe der Regierung sei es gewesen, Mittel zu suchen, um die 
Agitation im Lande zu beendigen; sie sei der Ansicht, daß der Kammer 
und dem Lande die volle Wahrheit zugänglich gemacht werden müßte, so- 
weit dies möglich sei. Die Mitglieder des ersten Kriegsgerichts urteilten 
nach ihrem Gewissen und ohne Leidenschaft. Man habe versucht, an Stelle 
des Dreyfus einen anderen Offizier unterzuschieben, der morgen von einer 
verdienten Disziplinarstrafe betroffen werde. Die Richter des zweiten 
Kriegsgerichts seien in ihrem Gewissen der Meinung gewesen, daß man 
ihnen keine Beweise von dem diesem Offizier zur Last gelegten Verbrechen 
erbracht habe und daß diese übrigens auch Dreyfus nicht als unschuldig 
hinstellen konnten. Die Regierung werde sowohl den Urteilen wie auch 
den Richtern des Kriegsgerichts Achtung verschaffen. Sie wolle die Achtung 
vor der Armee nicht durch Repressivmaßregeln wahren. Die Armee, welche 
die Suprematie der bürgerlichen Gewalten achte, brauche sich nicht hinter 
die Grundsätze von dem Wohle des Staates zu verstecken. Die Regierung 
habe die absolute Gewißheit von der Schuld Dreysus'. (Beifall auf allen 
Bänken.) Sonst würde keine Rücksicht auf das Staatswohl sie bestimmen 
können, einen Unschuldigen im Bagno zu lassen. Cavaignac fuhr sodann 
fort: Ich werde diejenigen Gründe meiner Ueberzeugung bekannt geben, 
bei denen ich dies thun kann. Wir sind Herren in unserm Hause und 
können unsere Angelegenheiten so behandeln, wie wir das wollen. (Leb- 
hafter Beifall.) Im übrigen werden die Erklärungen, die ich abzugeben 
habe, in keiner Weise fremde Regierungen in diese Sache verwickeln. Der 
Nachrichtendienst des Kriegsministeriums hat in sechs Jahren über 
1000 Originalbriefschaften in die Hände bekommen, die teils wahre, teils 
verabredete Namen tragen und bei keinem gutgläubigen Menschen Zweifel 
aufkommen lassen können. Von diesen Schriftstücken müssen drei hervor- 
gehoben werden. Erstens eins vom März 1894 datiert lautet: „Gestern 
Abend ließ ich schließlich den Arzt holen, welcher mir verbot, auszugehen. 
Da ich morgen nicht zu Ihnen kommen kann, bitte ich Sie, vormittags 
zu mir zu kommen, denn D. hat mir viele sehr interessante Sachen ge- 
bracht, und wir müssen die Arbeit teilen, da wir nur zehn Tage Zeit 
haben.“ Zweitens: „Ich bedaure, Sie vor meiner Abreise nicht gesehen 
zu haben; übrigens werde ich in acht Tagen zurück sein. Beiliegend zwölf 
Pläne von (folgt der Name einer Festung, die Cavaignac bei der Verlefung 
unterdrückte), welche diese Kanaille von D. mir für Sie gegeben hat. Ich 
habe ihm gesagt, daß Sie nicht die Absicht haben, die Beziehungen wieder 
aufzunehmen. Er behauptet, daß ein Mißverständnis vorlag und daß er 
alles thun werde, um Sie zu befriedigen; er sagt, daß er eigenfinnig ge- 
wesen und daß Sie ihm das nicht übelnehmen sollen. Ich habe ihm ge- 
antwortet, daß er verrückt sei und daß ich nicht glaube, daß Sie die Be- 
ziehungen zu ihm wieder aufnehmen wollten. Machen Sie, was Sie 
wollen.“ Der dritte Brief lautet: „Ich habe gelesen, daß ein Deputierter 
über Dreyfus interpellieren wird. Wenn (hier — so bemerkt Cavaignac —
	        
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