Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

280 Fra#nkreich. (Juli 18.—Ende August.) 
18. Juli. (Versailles.) Verurteilung Zolas. 
Zola wird vom Schwurgericht wegen Beleidigung des Kriegsgerichts 
zu einem Jahr Gefängnis und 3000 Fr. Geldstrafe verurteilt. Das Ver- 
dikt wird in Abwesenheit Zolas und seines Verteidigers Labori verkündigt; 
letzterer hat bereits Berufung bei dem Kassationshofe in Aussicht gestellt. — 
Zola wird bis zum Abschluß des Prozesses von der Mitgliederliste der 
Ehrenlegion gestrichen. Infolgedessen legen auch andere Schriftsteller die 
Mitgliedschaft freiwillig nieder. Zola verläßt Frankreich, bevor das 
Urteil rechtskräftig wird (Ende Juli). 
25. Juli. (Paris.) Picquart denunziert den Major Paty 
de Clam wegen Fälschung. Er und Esterhazy sollen die Briefe, 
auf Grund deren Dreyfus verurteilt worden ist, gefälscht haben. 
10. August. (Paris.) Der Appellhof erhöht die Gefängnis- 
strafe Zolas in dem Prozeß wegen Beleidigung der Schreibsach- 
verständigen (s. 9. Juli) auf einen Monat und die Geldstrafe auf 
je 10000 Francs. 
26. August. (Paris.) Präßident Faure richtet folgendes 
Telegramm an den Zaren: 
Die vorjährige Anwesenheit des Kaisers und der Kaiserin von 
Rußland an Bord des „Pothuan“ und die bei der Gelegenheit unter dem 
Schatten unserer Flagge auf der Rhede von Kronstadt ausgetauschten 
Erklärungen sind für uns zu teure Erinnerungen, als daß ich die Wieder- 
kehr jenes Tages vorübergehen lassen könnte, ohne Euer Majestät von 
neuem die Versicherung meiner lebhaftesten Dankbarkeit für den mir als 
Präsident der französischen Republik bereiteten Empfang zu geben. Unsere 
Gefühle find unverändert und ich bin heute wie damals der treue Dolmetsch 
des französischen Volkes, wenn ich Euer Majestät den Ausdruck der heißen 
Wünsche wiederhole, welche wir für ihr Glück und das der kaiserlichen 
Familie, wie für die Größe Rußlands hegen. 
Der Zar antwortet: Die Kaiserin und Ich sind lebhaft gerührt 
über den Dank, welchen Sie gelegentlich der Wiederkehr des Tages unseres 
Besuches an Bord des „Pothuau“ in Ihrem Namen und in dem des 
französischen Volkes uns auszudrücken die Güte hatten. Es gewährte uns 
eine besondere Freude, uns in Gedanken in jene historischen Augenblicke 
zurückzuversetzen, deren Erinnerung niemals zu erlöschen vermag. Mir ist 
es besonders angenehm, Ihnen bei dieser Gelegenheit den Ausdruck der 
wärmsten und unwandelbaren Wünsche zu erneuern, welche wir nicht auf- 
hören für Sie und das befreundete Frankreich zu hegen. 
Ende August. Die Presse über den russischen Abrüstungs- 
vorschlag. 
„Gaulois“: Frankreich würde bei einer Abrüstung nicht das ge- 
winnen, was Rußland und die anderen Mächte gewinnen würden, weil 
das, was Frankreich jetzt fehle, ihm auch nach der Abrüstung wieder fehlen 
würde. Allerdings würde es ebenso wie alle anderen Mächte den Vorteil 
haben, daß es finanziell erleichtert würde. „Matin“: Die Sprache des 
Abrüstungsvorschlages sei würdig des hochherzigen jugendlichen Herrschers. 
Es scheint uns übrigens, daß unser Verbündeter nicht vergessen dürfte, 
daß unsere Grenzen weniger unversehrt und unverletzbar find, als seine 
eigenen, und daß er uns nicht in die Notwendigkeit versetzen sollte, der
	        
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