Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

292 IStalien. (März 19.—27.) 
günstig aufzunehmen, indessen gleichzeitig der Wunsch ausgedrückt, daß vor 
allem über diese Kandidatur die Uebereinstimmung sämtlicher Großmächte 
festgestellt werden möge, da die italienische Politik bei all den schwierigen 
Orientfragen stets unverändert die Uebereinstimmung der Großmächte als 
die sichere Garantie des Friedens Europas unverändert zu bewahren wünschte. 
Infolge einiger von uns unabhängiger Schwierigkeiten konnte diese Ueber- 
einstimmung über die Kandidatur des Prinzen Georg noch nicht zu stande 
kommen. Es ist noch keine andere Kandidatur an ihre Stelle getreten. Die 
Mächte beharren, stets von dem gleichen Geiste der Versöhnlichkeit beseelt, 
bei dem Ziele, das sie sich gesetzt haben. Da die Unterhandlungen noch 
schweben, müssen wir uns große Reserve auferlegen, doch dauern die Ver- 
handlungen fort mit dem Ziele, auf Kreta ein Regime einzusetzen, das 
den Wünschen der Bevölkerung und den Absichten der Großmächte entspricht 
und zugleich der Insel die Wohlthaten dauernder Ruhe sichert. 
19. März. (Kammer.) Der parlamentarische Untersuchungs- 
ausschuß, der zur Untersuchung der Amtsführung Crispis eingesetzt 
ist, veröffentlicht seinen Bericht an die Kammer. 
Der Bericht schließt: Angesichts des Umstandes, daß es kein Gesetz 
über die ministerielle Verantwortlichkeit gebe, könnte man auch nicht von 
einem Ministervergehen sprechen, wenn nicht alle Zeichen eines gemeinen 
Vergehens zusammen kämen. Wie einleuchtend auch in dem vorliegenden 
Falle die beigebrachten Beweise seien, so könnten sie doch nicht die Ueber- 
zeugung rechtfertigen, daß Crispi — wenn er auch gewußt habe, daß die 
ihm von Favilla, dem Direktor der Bank von Neapel, übergebenen Gelder 
aus dieser Anstalt herrührten, davon Kenntnis gehabt habe, durch welche 
verbrecherischen Mittel Favilla die genannten Summen erhoben habe. Sei 
dieses aber ausgeschlossen oder nicht bewiesen, so folge daraus, daß ebenso 
wie Crispi nicht schuldig erachtet werden könnte, an der Unterschlagung 
Favillas beteiligt zu sein, es auch nicht am Platze sei, gegen Crispi vor 
dem als höchsten Gerichtshof eingesetzten Senat Anklage zu erheben. Wenn 
man auch nicht eine strafrechtliche Verantwortlichkeit Crispis behaupten 
könne, so könne man doch seine politische Verantwortlichkeit nicht zurück- 
weisen, weil er unrechtmäßigerweise von dem Direktor einer Emissions- 
Anstalt Summen empfangen habe, von denen er einen Teil wahrscheinlich 
zu Wahlzwecken verwendet habe und weil er sich ungerechtfertigt, besonders 
in die Ausfsicht dieser Anstalt eingemischt habe. Infolgedessen beantrage 
der Ausschuß einstimmig, auszusprechen, daß kein Grund vorliege, Crispi 
vor den höchsten Gerichtshof oder vor ein anderes Gericht zu stellen; er 
würde sich jedoch dafür aussprechen, daß sein Verhalten einen politischen 
A;erweis verdiene. 
23. März. Die Kammer genehmigt mit 207 gegen 7 Stim- 
men den Bericht des Untersuchungsausschusses über Crispi, der 
einen Tadel der Amtsführung Crispis als Minister enthält. — 
Crispi legt am folgenden Tage sein Mandat nieder, um sich wieder 
aufstellen zu lassen. — Er wird am 17. April in Palermo mit 
großer Majorität wiedergewählt. 
27. April. Die Kammer genehmigt den Gesetzentwurf, wo- 
nach die Herabsetzung der Getreidezölle bis zum 15. August d. J. 
in Kraft dleibt.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.