Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

NMebersicht der polifischen Entwichelung des Jahres 1898. 379 
läufig müsse man den Spaniern loyalerweise eine Frist geben, um 
mit der Autonomie einen Versuch zur Pazifikation der Insel zu 
machen; schlage er fehl, so werde Amerika freilich im Interesse der 
Zivilisation und Menschheit mit Gewalt intervenieren müssen 
(6. Dezember 1897). Sagasta beantwortete diese verhüllte Drohung 
mit der öffentlichen Erklärung, Spanien werde sein Recht und 
seine Ehre zu verteidigen wissen, aber trotz aller kriegerisch klingenden 
Redewendungen waren die Beziehungen um die Wende des Jahres 
1897 besser als je seit dem Rücktritte Clevelands. 
Zwei Ereignisse, die direkt mit der kubanischen Frage nichts 
zu thun hatten, machten alle Erfolge der Sagasta'schen Politik 
wieder zu nichte. Im Anfang Februar 1898 wurde ein Brief 
des spanischen Gesandten in Washington in amerikanischen Blät- 
tern abgedruckt, worin sich der Gesandte abfällig über Mc. Kinley 
aussprach und die amerikanische Politik scharf kritisierte. Der 
Brief war an einen Freund gerichtet, der kubanischen Partei in 
die Hände gefallen und sogleich veröffentlicht worden. Die anti- 
spanische Agitation erhielt dadurch neue Nahrung, und allgemein 
wurde der Ruf auf Heimsendung des Gesandten und Genugthuung 
für die Beschimpfung Amerikas erhoben. Der spanische Gesandte 
sah sofort ein, daß seines Bleibens nicht länger sei und reichte 
sein Entlassungsgesuch ein. Es konnte in Madrid noch genehmigt 
werden, ehe die amerikanische Regierung selbst auf seine Abberufung 
angetragen hatte. So wurde der Zuwischenfall formell erledigt, 
ohne daß es zu Erörterungen hierüber zwischen den Regierungen 
gekommen wäre, aber die Wirkung auf die Volksstimmung war 
darum nicht geringer. — Von größerer Bedeutung war das zweite 
Ereignis. Im Januar hatte die Unionsregierung das Panzerschiff 
„Maine“ nach Havanna gesandt, einerseits um die dort befindlichen 
Amerikaner im Bedarfsfalle zu schützen, andererseits um durch 
diesen freundschaftlichen Besuch die besser gewordenen Beziehungen 
zwischen beiden Staaten auch äußerlich zu dokumentieren. Das 
tragische Geschick dieses Schiffes ist noch in aller Erinnerung: am 
15. Februar flog es infolge einer Explofion in die Luft und über 
200 Seeleute verloren dabei ihr Leben. In Amerika herrschte all- 
gemein die Meinung, daß die „Maine“ einem spanischen Verbrechen
	        
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