Aebersicht der yvolitischen Entwichelung des Jahres 1898. 391
mentarische Regime wieder geordnet wurde, griff in Ungarn die
Opposition zur Obstruktion, da sie mit den Abmachungen zwischen O#strur-
Thun und Bauffy, namentlich mit der Höhe der von Ungarn zu
leistenden Quote nicht einverstanden war. Das Ende war, daß in
Osterreich der Ausgleich zwar beraten aber nicht abgeschlossen
wurde und das Budget wie der Ausgleich provisorisch proklamiert
werden mußte, während in Ungarn gar nichts zustande kam, so
daß hier ein budgetloser Zustand herrscht und die beiden Reichs-
hälften sich handelspolitisch fremd gegenüberstehen.
Die nationalen Gegensätze sind infolge dieser Kämpfe noch
bedeutend verschärft worden. Zwischen Deutschen und Slaven
herrscht ein latenter Kriegszustand, der gelegentlich durch tschechische
Pöbelexzesse in Prag seinen äußern Ausdruck findet. Die Regie-
rung tritt derartigen Ausbrüchen nach Meinung der Deutschen
nicht energisch genug entgegen und zeigt überall den Slaven ein
für die Deutschen verletzendes Entgegenkommen. Am eklatantesten
trat dies in die Erscheinung bei der Auflösung des Grazer Ge-
meinderats wegen einer deutsch-nationalen Kundgebung (S. 217),
wobei die Regierung freilich durch die glänzende Wiederwahl des
alten Gemeinderats ein entschiedenes Tadelsvotum durch die ge-
samte Grazer Bevölkerung erhielt. Eine Folge der steigenden Ver-
bitterung der Deutschen ist die Agitation zum Massenübertritt zum
Protestantismus, die durch das enge Bündnis der Klerikalen mit den
Slaven erzeugt worden ist.
Auch in Ungarn sind die alten Gegensätze zwischen den ungarn.
Magyaren und Nationalitäten nicht gemildert, und selbst in der
Regierungspartei ist die Einheit gelockert (S. 233). Soziale Un-
ruhen haben sich ebenfalls wieder mehrfach gezeigt, wenn auch
nicht in so elementarer Weise, wie im Jahre 1897 in dem Ver-
suche des großen Schnitterstreiks. — Die fortdauernde slavisierende
innere Politik in Osterreich hat bereits angefangen, Rückwirkungen
auf die auswärtige zu üben: die Außerungen Thuns über die
preußischen Ausweisungen (S. 231) haben zu bitteren Erörterungen
in der Presse beider Länder und zu der Frage geführt, ob Oster-
reich-Ungarn noch als ein zuverlässiges Mitglied des Dreibundes
zu betrachten sei.