Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 8.) 35
irgend eine Schädigung bringen könnte. Abg. Irmer (kons.) für die Vor-
lage. Die Freiheit der Wissenschaft werde nicht berührt, wenn ein unge-
eigneter Privatdozent removiert werde. Abg. Porsch (Z.) für die Vorlage,
die nur in einzelnen Punkten geändert werden müsse. Abg. Friedberg
(nl.): Seine Partei halte die Vorlage nicht für bedenklich, wünsche aber
das Oberverwaltungsgericht als zweite Instanz anstatt des Staatsministeriums.
— Die Vorlage wird an eine Kommission verwiesen.
Die Vorlage wird in der Oeffentlichkeit viel besprochen. Die liberale
Presse sieht darin einen Versuch, die Freiheit der Wissenschaft zu bedrohen, die
konservative begrüßt sie als eine festere Geltendmachung der Staatsautorität
den Universitäten gegenüber. Die meisten Professoren der Berliner Univer-
sität reichen eine Petition dagegen ein. (Vgl. Fr. Paulsen in den „Preuß.
Jahrbüchern“ Bd. 91, S. 331 und S. 515; Hans Delbrück ebenda S. 388).
8. Februar. (Reichstag.) Debatte über China und Kreta.
Erklärungen Bülows. Vertrag über Kiautschou (vgl. S. 1). Kre-
tische Gouverneursfrage. Deutschland und die orientalische Frage.
Auf eine Anfrage des Abg. Richter (fr. Vp.) erwidert Staatssekr.
v. Bülow:
Es ist in der Presse, und es ist auch neulich in der Budgetkommission
die Ansicht hervorgetreten, als ob die Regierung bestrebt sei, über ihre
auswärtige Politik, und namentlich über unsere ostasiatische Aktion, einen
Schleier auszubreiten. Es ist auch die Frage aufgeworfen worden, wie
weit sich die Regierung berufen glaube, über den Gang ihrer auswärtigen
Politik Auskunft zu erteilen. Auf diese Frage möchte ich mit dem Worte
antworten, mit dem in meiner Studienzeit ein hervorragender Professor
der Theologie seine Vorträge über subtilere Themata einzuleiten pflegte,
nämlich mit dem Worte: Distinguo, ich unterscheide. Ueber alle Phasen
einer auswärtigen Aktion, und besonders über die Anfangsphasen einer
solchen, und ganz besonders über vertrauliche Negotiationen mit anderen
Mächten, kann kein Minister der Welt vorzeitige Mitteilung machen (sehr
richtig), und wenn er es thäte, würden seine Kollegen, die übrigen Minister
des Aeußern, nicht mehr mit ihm verhandeln wollen. Er kann dies nicht —
ungefähr aus denselben Ursachen, aus denen der Rechtsanwalt nicht über
jedes Stadium seines Prozesses und der Arzt nicht über jede Erscheinung
einer Krankheit seinem Klienten referieren kann. Ich kann nicht einmal
beim Whist meinem Partner Aufschlüsse geben über jeden Zug. Wohl
aber bin ich verpflichtet, hinterher zu sagen, was ich mit meinen Trümpfen
angefangen habe. Seien Sie versichert, meine Herren, daß wir uns unserer
Verantwortung gegenüber dem Lande sehr wohl und sehr ernsthaft bewußt
sind, und daß wir nie daran gedacht haben, Versteck spielen zu wollen!
Ich mußte mich aber, nach Lage der Verhältnisse, als ich Anfang Dezember
zum erstenmal die Ehre hatte, vor diesem hohen Hause zu erscheinen, darauf
beschränken, hervorzuheben, daß wir weder in Abenteuer hineindampfen,
noch irgendwie den Frieden stören, noch irgendwem zu nahe treten, sondern
lediglich die Rechte und Interessen schützen wollten, die wir in Ost-Asien
besitzen. Die Entsendung unseres Kreuzergeschwaders nach Kiautschou war
eben nicht eine Improvisation, sondern sie war das Ergebnis reiflicher Er-
wägung und Abwägung aller Verhältnisse und der Ausdruck einer ruhigen,
zielbewußten Politik. Hierüber kann ich heute folgendes sagen. Wir waren
uns schon vorher nicht im Zweifel darüber, daß wir in Ost-Asien einen
territorialen Stützpunkt brauchten. Ohne einen solchen würden wir dort
in wirtschaftlicher, in maritimer und in allgemein politischer Hinsicht in
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