Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieter. (März 15./19.) 75 
die bürgerlichen Vergehen dem Militärgerichte entziehen. Dagegen hat 
sich aber der damalige Kriegsminister mit einer Rede gewendet, die ich 
Wort für Wort unterschreibe. Wir haben nun mit Hilfe des Bundesrats 
und der Kommission des hohen Hauses eine Vereinbarung gefunden. Das 
ist ein Ergebnis, welches nicht unterschätzt werden darf. Ich kann nur 
bedauern, daß eine solche Fülle von Anträgen vorliegt, welche die Arbeit 
der Kommission zu zerstören geeignet ist. Die Vorlage hält die Organisation 
der Militärgerichte nach Möglichkeit aufrecht; es sind die Formen der 
bürgerlichen Gerichtsbarkeit so weit wie möglich angewendet worden; 
vielleicht ist man dabei etwas zu weit gegangen. Es ist uns nicht leicht 
geworden, den Anträgen der Kommission überall zuzustimmen. Wir sehen 
nicht ohne Sorge der Ausführung des Gesetzes entgegen. Die Einführung 
der Mündlichkeit ist ein Fortschritt. Die mündlichen Verhandlungen geben 
ein vollständiges Bild, aber die Leitung der Verhandlung liegt in der 
Hand des Vorsitzenden, der mit den Akten vertraut ist, der nach Kenntnis 
derselben die Zeugen vernimmt u. s. w. Die Beisitzer haben keine Kennt- 
nis der Akten. Ein gemischtes Verfahren, eine Kombination von münd- 
lichem und schriftlichem Verfahren, würde besser gewesen sein. Ob ich 
recht habe, wird die Erfahrung bei der Ausführung des Gesetzes zeigen. 
Bei der Oeffentlichkeit des Verfahrens muß der Unterschied zwischen den 
Militär- und den Civilgerichten beachtet werden. Ein Wachtposten, der 
sich hinsetzt, das Gewehr wegstellt u. s. w., wird bestraft; ein Civilbeamter, 
z. B. ein Zollwächter, kann dasselbe thun, ohne daß er sich strafbar macht. 
Es ist kein Verbrechen, wenn ein deutscher Staatsbürger nach 9 Uhr oder 
nach 10 Uhr nach Hause kommt. Der Soldat wird deswegen bestraft. 
Das ist eine Erziehungssache. Ist in solchen Fällen die öffentliche Brand- 
markung des Mannes notwendig? Nach dieser Richtung hin hat die 
Oeffentlichkeit doch ihre Bedenken. Die Straffälle sind meist sehr einfacher 
Natur, so daß an der Strafthat meist kein Zweifel bestehen kann; es ist 
also ein großer Apparat für die Untersuchung nicht notwendig. Wir haben 
eine gewisse Resignation gegenüber den Folgen des Verfahrens. Wir haben 
aber eine bestimmte Linie gezogen, und ich möchte bitten, daß darüber 
nicht hinausgegangen wird. Die preußische Regierung steht auf dem 
Standpunkt, daß die Anträge der Kommission meist annehmbar sind, ein 
Teil von ihnen sind Verbesserungen, aber ein Teil ist doch so bedenklich, 
daß die Regierung wünschen muß, daß die Regierungsvorlage wieder her- 
gestellt werde. Die Anträge der Herren von Puttkamer und Gen. enthalten 
die Hauptpunkte, in denen Aenderungen wünschenswert sind, nämlich in 
Bezug auf die Beschlüsse zu den §§ 46, 47, 49, 172, 274 und 326. Nur 
auf diese Weise wird es möglich sein, die Freudigkeit der Führer der 
Armee aufrecht zu erhalten. (Beifall rechts.) 
Abg. Bassermann (nl.) gegen die Anträge Auer und Munckel, 
deren Bedenklichkeit schon in der Kommission auseinandergesetzt sei. Eine 
anderweitige Regelung der Rechtsverhältnisse der zur Disposition stehenden 
Offiziere sei nicht zu erreichen, weil die Regierung darauf nicht eingehen 
wolle. Es handele sich dabei auch nur um wenige Fälle. 
Abg. Gröber (Z.): Die Rede des Kriegsministers hat gezeigt, 
welche Schwierigkeiten der Vorlage entgegenstehen, namentlich in der Armee. 
Diejenigen, welche überhaupt einen Fortschritt machen wollen, müssen daher 
sich etwas bescheiden. Der Kriegsminister empfahl ein gemischtes mündlich- 
schriftliches Verfahren. Ein solches Verfahren ist in den Beschlüssen der 
Kommission enthalten; denn das Vorverfahren ist ein schriftliches. Es 
handelt sich um einen enormen Fortschritt gegenüber dem preußischen und 
dem württembergischen Militärstrafrecht, zum Teil sogar gegenüber dem
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.