Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

76 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 15./19.) 
bayerischen Recht. Es wäre unverantwortlich, wenn wir die Gelegenheit 
versäumen würden, diesen Fortschritt zu machen. In Frankreich und in 
der Schweiz besteht ein Volksheer und trotzdem eine besondere Militär- 
strafgerichtsordnung. Die Stellung der Offiziere z. D. ist ein unter- 
geordneter Punkt; es handelt sich nur um wenige Fälle und es empfiehlt 
sich, die Beschlüsse der Kommission anzunehmen. — Die Anträge werden 
abgelehnt und § 1 gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der deutschen 
und freisinnigen Volkspartei angenommen. 
Nach § 2 sind der Militärstrafgerichtsbarkeit ferner unterstellt: 
1. die Personen des Beurlaubtenstandes wegen Zuwiderhandlungen gegen 
die auf sie Anwendung findenden Vorschriften der Militärstrafgesetze; 2. die 
Offiziere des Beurlaubtenstandes wegen Zweikampfes und Herausforderung 
dazu; 3. die Invaliden wegen der in der Militäruniform begangenen 
Zuwiderhandlungen gegen die militärische Unterordnung. Die Sozial- 
demokraten beantragen die Streichung des ganzen § 2, die Freisinnigen 
die Streichung der Nr. 2. 
Generallieutenant v. Viebahn: Ob die Zweikämpfe im bürgerlichen 
oder im militärischen Verfahren abgeurteilt werden, ist gleichgiltig; sie 
werden nach dem Gesetze beurteilt. Die Zweikämpfe in der Armee sind 
vermindert worden, und darauf ist nicht ohne Einfluß gewesen die Kabinetts- 
ordre vom 1. Januar 1897. Von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich 
dem Reichstage empfehlen, die Vorlage anzunehmen. Denn es geht in 
jeder Ehrensache eine eingehende Untersuchung dem Zweikampfe voraus, 
wobei alles klargestellt wird, so daß die Beilegung des Streites erfolgen 
kann ohne Zweikampf. — Der § 2 wird unter Ablehnung der Anträge 
am 16. März angenommen, ebenso nach längerer Diskussion § 3, nach 
welchem die Militärpersonen des aktiven Heeres und der aktiven Marine 
wegen der vor dem Diensteintritt begangenen strafbaren Handlungen der 
Militärgerichtsbarkeit unterstellt sind. 
Es findet fast zu jedem Paragraphen eine längere Diskussion statt. 
Besonders leidenschaftlich wird die Debatte am 18. März, als Abg. Bebel 
(Soz.) auf die Vorgänge vor 50 Jahren hinweist und die damalige Re- 
gierung, die Offiziere und die bürgerlichen Parteien scharf angreift und 
die Revolution verherrlicht. Ihm antworten u. a. der Kriegsminister 
v. Goßler, die Abgg. v. Puttkamer (kons.) und v. Bennigsen (nl.). 
Am 19. März wird das Gesetz und folgende Resolution angenommen: 
„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, nach dem Vorgange der Ver- 
öffentlichungen über die Statistik der von den bürgerlichen Gerichten er- 
ledigten Strafsachen auch die Veröffentlichung einer Statistik über die nach 
der Militärstrafgerichtsordnung behandelten Fälle zu veranlassen." 
Es folgt die Beratung des Einführungsgesetzes. — Hierin heißt es: 
„Die Einrichtung der obersten militärgerichtlichen Instanz mit Rücksicht 
auf die Verhältnisse Bayerns wird besonders geregelt.“ Die Kommission 
hat beschlossen, statt „besonders“ „anderweit gesetzlich“ zu setzen. 
Abg. Frhr. v. Hertling (Z.): In der Kommission haben ein- 
gehende Erörterungen über diese Frage stattgefunden. Man hat einen 
obersten bayerischen Gerichtshof abgelehnt, aber nicht, weil die Mehrheit 
der Kommission unter allen Umständen dagegen gewesen wäre, sondern weil 
eine vorhergehende Verständigung zwischen den beteiligten Regierungen 
stattfinden soll. Der Kommissionsbeschluß will die Frage vollkommen offen 
lassen. Wir sind der Meinung, daß durch die Einführung dieser Worte: 
„anderweit gesetzlich" res integra gewahrt würde. Ich würde dankbar 
sein, wenn der Reichskanzler dies bestätigen würde. 
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst: Ich bin dem
	        
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