Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierzehnter Jahrgang. 1898. (39)

78 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 16.) 
wirtschaft für die Reichstagswahlen entsprechend dem vom Finanzminister 
erlassenen Appell (1897 S. 111) diskutiert. Nach vertraulichen Besprech- 
ungen wird folgender Aufruf erlassen: 
Am 31. Dezember 1903 laufen unsere Handelsverträge mit Belgien, 
Italien, Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Rußland, der Schweiz und Serbien 
ab und wir werden vorher rechtzeitig auch in eine Prüfung unserer ander- 
weitigen Handelsverträge einzutreten haben. Bei dem erneuten Abschluß 
solcher Verträge erscheint es aber zweifelhaft, ob die bestehende Meist- 
begünstigungsklausel, die allen Staaten auch solche Konzessionen ohne Ent- 
gelt zufallen läßt, welche dritte Vertragsmächte mit wirtschaftlichen Opfern 
von uns erkauft haben, in der bisherigen Form fernerhin aufrecht zu er- 
halten sein wird. Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands hängt von der 
künftigen Gestaltung unserer handelspolitischen Beziehungen zum Auslande 
ab. Die Reichsregierung hat durch Begründung des wirtschaftlichen Aus- 
schusses und durch wiederholte ausdrückliche Erklärungen den festen Willen 
bekundet, die vielseitigen und schwierigen Fragen unseres Erwerbslebens 
zu vertiefen und begründeten Forderungen nach wirksamem Schutze unserer 
schaffenden Arbeit gerecht zu werden. Der Reichsregierung auf dieser Bahn 
zu folgen, liegt im gemeinsamen Interesse aller Stände. Die Entscheidung 
aber liegt bei dem neu zu wählenden Reichstage, der sowohl über den zeit- 
gemäßen Ausbau unseres Zolltarifs wie über den Abschluß neuer Handels- 
verträge zu beschließen haben wird. Von dem Ausfall der Reichstagswahlen 
hängt die Durchführung einer nationalen Wirtschaftspolitik ab. Daher ist 
die Sammlung aller derjenigen Parteien und wirtschaftlichen Gruppen, 
welche an Stelle des Kampfes der Interessen gegeneinander den friedlichen 
Ausgleich derselben erstreben, für die bevorstehenden Wahlen geboten. Die 
Vertreter von Industrie, Landwirtschaft, Handel und Gewerbe müssen sich 
vereinigen, innerhalb der einzelnen politischen Parteien nur für solche Kan- 
didaten einzutreten, welche fest auf dem altbewährten Programm des Schutzes 
der nationalen Arbeit und gleichmäßiger Berücksichtigung aller Zweige des 
Erwerbslebens stehen. An alle Anhänger des Schutzes der nationalen Arbeit 
ergeht daher die dringende Aufforderung, schon bei der Ausstellung der 
Kandidaten sich über die Wahl von Männern zu einigen, welche rückhalt- 
los auf dem Boden der nationalen Wirtschaftspolitik stehen. 
Der Zentralvorstand und die vereinigten Fraktionen der national- 
liberalen Partei des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses 
erlassen hiezu folgende Erklärung (7. März): 
Wir wollen die Politik der wirtschaftlichen Sammlung, welche zum 
Schutze der nationalen Arbeit die Interessen von Landwirtschaft, Industrie, 
Handel und Gewerbe zu vereinigen, und die mittlere ihnen gemeinsam 
förderliche Linie zu finden sich bemüht, auf das wärmste unterstützen, können 
aber darüber die Selbständigkeit unserer Partei, sowie die nationalen, 
idealen und liberalen Anschauungen, aus denen unsere Partei erwachsen 
ist, nicht in den Hintergrund drängen lassen. Wir erblicken in dem „Wirt- 
schaftlichen Aufrufe“ einen wertvollen Schritt zur Herbeiführung einer 
Einigung der verschiedenen Interessen in Betreff der Handelsverträge. Auch 
wir sind der Ueberzeugung, daß bei dem Abschlusse künftiger Handels- 
verträge die Interessen der Landwirtschaft besser gewahrt werden müssen 
als bisher, müssen aber anderseits auch fordern, daß den Bedürfnissen der 
Industrie und des Handels nach Handelsverträgen mit längerer Geltungs- 
dauer Rechnung getragen wird. Nur auf diesem Boden halten wir die 
Politik der wirtschaftlichen Sammlung für möglich und ersprießlich. Die 
Auslegung, welche dem Aufrufe in anderem Sinne gegeben werden kann 
und bereits gegeben worden ist, nötigt uns, die unsrige hierdurch festzu-
	        
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