Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Uebersicht der politischen Entwickelung des Jahres 1899. 333 
hervorgerufen wurden. Dank den Mahnungen der Großmächte 
hatten sie keine weiteren Folgen. Auch in der asiatischen Türkei, 
in Armenien, fanden wieder kurdische Ausschreitungen statt, die 
beweisen, daß die Pforte unfähig ist, die verschiedenen Elemente 
ihres weiten Gebietes zu friedlichem Zusammenleben zu bringen. 
Die Korruption der inneren Verwaltung ist nicht aufgehoben, und 
die Verhaftung mehrerer hoher Beamter am Schluß des Jahres 
sowie die Flucht eines Schwagers des Sultans ins Ausland zeigt, 
daß in den höchsten Regierungskreisen eine bedenkliche Unsicherheit 
herrscht. — Mit Rußland wurden mehrere Noten gewechselt über 
die rückständige Kriegsentschädigung, die die Pforte nur sehr lässig 
bezahlt, so daß Rußland schon mit Repressalien für das kommende 
Jahr drohte. Eine weitere Differenz zwischen Rußland und der 
Pforte, die Repatriierung der während der Armeniermetzeleien nach 
dem Kaukasus geflüchteten Armenier, ist ebenfalls noch in der 
Schwebe. 
In Serbien ist der Kampf zwischen dem Exkönig Milan und Serbien. 
den Radikalen einstweilen zu gunsten Milans entschieden worden. 
Ein mißlungenes Attentat auf Milan gab Gelegenheit, die Führer 
der Radikalen zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilen zu lassen, 
obgleich ein Beweis für ihre Schuld nicht erbracht werden konnte. 
Diese Gewaltpolitik hat namentlich in Rußland große Unzufrieden- 
heit erzeugt. — Auch Rumänien, sonst der ruhigste Staat der u- 
Balkanhalbinsel, hat mehrere Erschütterungen erlitten. Die natio- nien. 
nale Eifersucht gegen die Magyaren rief Straßendemonstrationen 
hervor, die das liberale Ministerium zum Rücktritt zwangen, und 
die schlechte Ernte trieb in mehreren Distrikten die Bauern zum 
Aufruhr. Der Ernteausfall schädigte die Finanzen dermaßen, daß 
eine Anleihe von 175 Millionen Franks notwendig wurde, um die 
Zinszahlungen fortsetzen zu können. — Schlimmer noch lagen die 
finanziellen Verhältnisse in Bulgarien, das erst nach langen Ver= Bul- 
handlungen Hülfe von auswärtigen Banken erhalten konnte. Die 587/#. 
Bedingung für die Anleihe war, daß der Bau der Parallelbahn, 
die als ein bulgarisches Konkurrenzunternehmen gegen die ostru- 
melische Orientbahn gedacht war, eingestellt merden mußte. Gehalts- 
reduktionen und Beschränkung der Zivilliste bezeichnen die schwierige
	        
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