Das Dentshe Reich und seine einzeluen Glieder. (Februar 10.) 43
die Eltern wegen ihres Glaubens. Für eine solche städtische Bildung
danken wir. Die Autorität der Eltern soll gestärkt werden. Das werde
sich durch alle Strafgesetze nicht erreichen lassen, wenn nicht durch den
religiösen Unterricht die sichere Grundlage dafür gelegt wird. Nur die
Kirche ist im stande, die Schule in dem Bestreben wirksam zu unter-
stützen, den Kindern den Respekt vor den Autoritäten beizubringen. Die
Unsittlichkeit herrsche auf dem Lande, aber sie habe sich aus den Städten
übertragen. Bei der Revision der Gefindeordnung werde nicht zu vergessen
sein, daß der Dienstbote in die Familie eintrete und sich damit in ein
gewisses disziplinarisches Abhängigkeitsverhältnis begebe.
Ministerialdirektor Kügler wendet sich gegen die ungünstige Be-
urteilung der ländlichen Schulen. Die schwarze Schilderung des Vor-
redners sei nicht angebracht. Es sollte in der Schule zu viel gelehrt
werden! Wer aber die Verhältnisse kenne und wisse, daß wir dort vielfach
nur halbe Tage Schule haben und daß in den ländlichen Schulen im
Osten nur das Allernotwendigste gelehrt wird, der könne solche Vorwürfe
nicht erheben. Von Stereometrie, von Mathematik ist dort keine Rede.
Der Vorredner sagt: nicht multa, sondern multum. Es fragt sich aber, was
man unter multum verstehe, und der Vorredner scheine in dieser Beziehung
sehr niedrige Anforderungen zu stellen. (Sehr richtig! links.) Die Schule
soll allerdings eine Vorbereitung für das praktische Leben sein. Die Kinder
sollen geistig geschult werden, damit sie, wenn sie in das Leben eintreten,
wirtschaftlich vorwärts kommen. Ich bestreite, daß die religiöse und sitt-
liche Bildung in den Schulen derart verwahrlost würde, wie der Vorredner
behauptet. Ueber den Handarbeitsunterricht hält man sich auf. Wer ihn
kennt, weiß, daß es sich nicht um feine Handarbeiten handelt. (Widerspruch
und Lachen rechts.). Ich sage nur, wer ihn kennt (Zustimmung links),
der weiß, daß die Mädchen im wesentlichen nur soviel davon lernen, daß
sie im stande sind, die Kleider der Männer zu flicken. (Gelächter und
Lärm rechts.) Auch in der Heimatkunde soll nicht genug geleistet werden.
Haben Sie vielleicht die Volksschulen einmal besucht? (Lärm rechts.) In
dieser Beziehung wird nichts versäumt. Sie verlangen eine bessere Vor-
bereitung der Kinder für die ländliche praktische Thätigkeit. Ja, wie soll
denn der Lehrer das machen, soll er mit den Kindern auf das Feld gehen
und ihnen die ländlichen Arbeiten zeigen? (Unruhe rechts.) Wenn der
Lehrer sagen soll, daß die Kinder nicht in die Stadt gehen mögen, weil
sie dort nicht mehr verdienen, als auf dem Lande, so kann ich das nicht
empfehlen, denn die erste Pflicht des Lehrers ist, wahrhaft zu sein (Lebhafter
Beifall links, Unruhe rechts und im Zentrum), und keine Behauptung
aufzustellen, deren Unwahrheit sich leicht herausstellt. Man soll doch nicht
glauben, daß die Schule Kinder mit Scheuklappen erziehen soll. Das ist
unmöglich in der Zeit der allgemeinen Wehrpflicht und des Verkehrs. Das
Abströmen vom Lande beruht ja wesentlich darauf, daß die Landwirtschaft
nicht im stande ist, so hohe Löhne zu zahlen wie die Stadt. Die Lehrer
möchte der Vorredner warnen, in landwirtschaftlichen Vereinen tätig zu
sein, weil das zu Konflikten mit der Schulverwaltung führen könnte. Der
darin liegende Angriff ist durchaus unberechtigt. Wir legen den Lehrern in
dieser Beziehung keine Schwierigkeiten in den Weg. Die Lehrer haben
allerdings in neuerer Zeit weniger Gelegenheit, ihre Aecker selbst zu be-
wirtschaften, aber das kommt daher, daß der Lehrer unter denselben
Schwierigkeiten leidet wie der bürgerliche Besitzer, daß er keine Arbeiter
bekommt oder sie so teuer bezahlen muß, daß der Acker nichts mehr ein-
bringt. (Heiterkeit rechts.) Dazu kommt, daß die Aecker häufig den Lehrern
zu hoch im Gehalt angerechnet worden sind. (Große Unruhe rechts.) Durch