Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

72 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 24.) 
Antrag wurde weder im Ausschuß, noch im Plenum des Bundesrats an- 
genommen. Der Minister streift nun die Reichstagsdebatte bei Annahme 
der Militärstrafprozeßordnung und sagt: Wir stimmten gegen das Militär- 
strafgesetz und gegen das Einführungsgesetz, weil uns die Erklärung, daß 
das Reservatrecht offen bleibe, nicht genügte, und weil wir, entsprechend 
der früher im Landtag abgegebenen Erklärung, mit mehreren Punkten des 
Gesetzes nicht einverstanden waren. Wertvoll war es, daß der Bundesrat 
Bayern nicht majorisieren wollte. Dankenswert ist es, daß die neue Straf- 
prozeßordnung nicht publiziert wurde, bevor ein Ausgleich mit Bayern 
erreicht war. Die schließlich zu stande gekommene Abmachung zwischen der 
Präsidialmacht und Bayern ist gesetzlich gemacht. Wenn die Lösung sich 
auch mit dem ursprünglichen Standpunkt nicht deckt, so ist sie doch von 
juristischer, praktischer und politischer Seite als befriedigend zu bezeichnen. 
Ein Anspruch Bayerns auf einen obersten Militärgerichtshof in München 
ist in der Verfassung nicht klar ausgesprochen. Die Versailler Ver- 
träge enthalten nur eine Bestimmung, daß das bayerische Kontingent ein 
in sich geschlossenes Ganzes unter der Militärhoheit des Königs von Bayern 
ist. Wir leiteten davon ab, daß eine Schmälerung der Militärjustizhoheit 
eine Schmälerung der Militärhoheit sein würde. Aber Bayern ist den 
Reichsmilitärgesetzen untergeordnet. Aus diesem Grund wurde uns ein 
Reservatrecht Bayerns bezüglich des Militärgerichtshofes bestritten. Wir 
sind jedoch der Meinung, daß das Reich wohl bestimmen könne, wie die 
oberste Rechtssprechung in Bayern zu regeln ist. Aber das Reich dürfe 
die bayerische Rechtssprechung nicht ganz oder teilweise an sich ziehen. Sie 
könne nur durch Organe wie der König von Bayern ausgeübt werden. 
Dem sei nun Rechnung getragen. Der geschaffene Zustand sei ein günstiger. 
Ein Münchener Gerichtshof hätte keine Fühlung mit dem deutschen Gerichts- 
hof, wenn man in Berlin zu einer Plenarversammlung zusammentreten 
müsse. Jetzt hätten die bayerischen Reservatrichter auch Einfluß auf die 
Reichsrechtsprechung. Hätte Bayern einen Münchener Gerichtshof erhalten, 
so wäre sicher nicht bestimmt worden, daß der deutsche oberste Gerichtshof 
mit den bayerischen Richtern sich verständigen müsse, wenn ersterer von der 
bayerischen Rechtsprechung abweiche. Es wäre nur das Umgekehrte ange- 
nommen worden. Der Deutsche Reichstag würde sich wohl erkundigt haben, 
warum das Militärstrafprozeßgesetz nicht publiziert werde. Wenn dann 
bekannt geworden wäre, daß Bayern das Anerbieten eines eigenen Senats 
ablehne, so würde das den Reichstag sehr ungünstig gegen Bayern und 
seine Reservatansprüche gestimmt haben. Der Reichstag würde dann einen 
Beschluß gefaßt haben, und über das Anerbieten eines eigenen bayerischen 
Senats nicht hinausgegangen sein. Der Bundesrat würde dem zugestimmt 
haben und es wäre so das Präjudiz einer Majorisierung Bayerns in 
einer Reservatrechtsfrage geschaffen worden. Was hätten wir dann thun 
sollen? Widerstand leisten? Das wäre gewiß unpolitisch gehandelt. Ein 
Schiedsgericht verlangen? Vielleicht wäre der Bundesrat darauf gar nicht 
eingegangen. Jedenfalls lag die Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit nahe, 
daß Bayern das Vorhandensein eines Reservatrechtes abgesprochen worden 
wäre und dann wären die bayerischen Armeeangehörigen unter nichtbayerische 
Rechtsprechung gekommen, und das Ansehen Bayerns wäre auf lange Zeit 
hinaus geschädigt gewesen. Wir haben viel erreicht, wenn man die 
Schwierigkeiten bedenkt, die zu überwinden waren. Die übrigen Bundes- 
staaten haben ja mit wenig Ausnahmen das Reservatrecht verneint. Nun 
kann unsere Vereinbarung nur durch eine neue Vereinbarung geändert 
werden. Es sind also alle Besorgnisse für die Zukunft ausgeschlossen. An 
den bayerischen Landtag hat sich die bayerische Regierung aus guten Gründen