Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfzehnter Jahrgang. 1899. (40)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 24.) 73 
wegen der Frage nicht gewendet. Es mag dahin gestellt sein, ob die Re- 
gierung ohne Zustimmung des Landtags ein Reservatrecht aufgeben kann. 
Bisher stand die Regierung auf dem Standpunkt, daß es nicht staatsrecht- 
liche Pflicht, sondern politische Klugheit sei, den Landtag zu fragen. Wenn 
im vorliegenden Falle ein Reservatrecht aufgegeben worden wäre, würde 
die Regierung vorher den Landtag befragt haben. Aber die Regierung 
hat kein Reservatrecht aufgegeben, sie hat erreicht, was zu erreichen war. 
Den Landtag trotzdem zu befragen, wäre ein politischer Fehler gewesen, 
hätte die Sache nur erschweren können. Jedenfalls sehen wir aus dem 
Vorgange mit dem obersten Gerichtshof, daß Zweifel über eine Reservat- 
berechtigung nicht durch Majorität, sondern im Wege freundschaftlichen und 
wohlwollenden Ausgleichs erledigt werden. Wir haben die Wahrung der 
Interessen Bayerns mit loyaler Erfüllung unserer Pflicht für das ganze 
deutsche Vaterland verbunden. (Bravo rechts.) 
Abg. v. Walter (Z.): Wir stehen vor einem fait accompli, wir 
müssen hinnehmen, was wir nicht ändern können. Mit der erzielten Ein- 
heit in der Rechtssprechung kann ich mich nicht trösten. Eine Rechtsein- 
heit, die zur Diktatur wird, wie es auch mit dem Reichsgericht in Leipzig 
wird, ist zu beklagen. Wenn es zur Beseitigung eines Reservatrechts nichts 
braucht als die Nichtanerkennung seitens der Präsidialmacht, dann gibt 
es kein Reservatrecht, dann steht es mit der Selbständigkeit Bayerns schlecht. 
Der bayerische Senat ist kein selbständiges Gericht mehr über bayerische 
Angehörige, er ist ein Zwitterding. Die Selbständigkeit des Senats hat 
eine Grenze und ist auch der Geschäftsordnung des Präsidenten des obersten 
Gerichtshofs untergeordnet. Auch seine Stellung in Berlin erhöht die Selb- 
ständigkeit nicht. Vielleicht wäre es anders gegangen, wenn man recht- 
zeitig alles gethan hätte, das Reservatrecht zu hüten. Selbst wenn der 
Gang der Dinge unaufhaltsam gewesen wäre, hätte man sich die Weg- 
nahme des Reservatrechts lieber aufzwingen lassen sollen! Was einem ge- 
nommen wird, kann man wieder erhalten, was man aber herausgegeben 
hat, ist herausgegeben. Die Reservatrechte sind nicht nur ein Recht der 
Krone, sondern auch ein Recht des Volkes, also hätte man die Volks- 
vertretungen fragen sollen. Ich gebe zu, daß sich die Gegner der 
Lösung im Landtage hätten überzeugen lassen. Wenn die Zustimmung zu 
den Versailler Verträgen zu erreichen war, hätte man vielleicht auch jetzt 
die Zustimmung erreichen können. Man hätte jedenfalls nicht einseitig ohne 
den Landtag vorgehen dürfen. Wir halten die Selbständigkeit Bayerns 
im Reiche für notwendig. Nicht weil das Reservatrecht verloren ging, 
bringen wir es zur Sprache, sondern weil Gefahr ist, ein Reservatrecht 
nach dem andern bei der Regierung zu verlieren. Wenigstens nachträglich 
hätte die Zustimmung des Landtags eingeholt werden sollen. Das bedrückt 
mich. Wenn wir so fortfahren, ohne den Landtag Reservatrechte aufzu- 
geben, gehen wir wahrlich keiner rosigen Zukunft entgegen. Wenn es so 
fortgeht, ist es fraglich, ob es noch Wert hat (der Redner stockt etwas in 
der Fortführung des Satzes und in dem Suchen des Wortes), die Ver- 
handlungen fortzuführen. Das Protokoll des Bundesrats und die Er- 
klärung des Reichskanzlers im Reichstag können uns keine Garantien geben. 
Es geht das Gerücht, daß das Abkommen nur für die Dauer der Regent- 
schaft gelten werde, weil der Regent sich nicht für befugt halte, über 
Rechte der Krone zu verfügen. Wenn dem so ist, dann fürchte ich, daß, 
wenn der Thron wieder besetzt ist, der Kampf aufs neue angeht. Man 
wird auf Bayern einstürmen, um es zum Aufgeben des Rechtes, das ja nun 
zweifelhaft geworden ist, zu bestimmen. Wenn dann die Widerstandskraft 
der Regierung nicht stärker ist, dann wird es schlimm gehen. Ich bin nicht 

	        
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