Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

30 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar. Februar.) 
Die Grenzsperre habe 1901 gute Resultate ergeben. Es erfolgte im August 
ein vehementer Ausbruch der Maul- und Klauenseuche in Süddeutschland, 
speziell in Bayern. Während zu Anfang August dort neun Gemeinden 
und 49 Gehöfte von der Seuche ergriffen waren, stieg deren Zahl im 
Oktober auf 63 Gemeinden und 548 Gehöfte. Es muß anerkannt werden, 
daß seitens der bayerischen Regierung alle möglichen Anordnungen getroffen 
wurden, um ein weiteres Umsichgreifen der Seuche zu verhindern. Es ist 
jetzt auch ein besserer Rekord erzielt worden. Die Seuche griff aber auch 
nach Baden und Württemberg über und wütet noch schlimmstens in Elsaß- 
Lothringen. Von Preußen sei der Kreis Hanau und die Provinz Sachsen 
in Mitleidenschaft gezogen. 
Januar. Februar. (Preußen.) Es wird die Frage in der 
Offentlichkeit diskutiert, ob in Posen zur Förderung des Deutsch- 
tums eine Universität errichtet werden soll. Die polnische Presse 
befürwortet vielfach die Idee, die deutsche ist zum Teil dagegen, 
weil sie dem Polentum zu gute kommen werde. (Vgl. „Deutsche 
Monatsschrift“ Bd. II, Heinrich Brunner.) 
Januar. Februar. Diskussion über die Zollfrage. 
In der Presse wird vielfach behauptet, daß die Regierungen über 
die Zollfrage nicht einig seien. Darüber schreibt die offiziöse „Nordd. Allg. 
Zeitung“: Im Kampfe um den Zolltarif zeigt sich die auffällige Erschei- 
nung, daß von den beiden entgegengesetzten Richtungen, der extrem-agrari- 
schen und der freihändlerischen, mit der Unterstellung von Meinungs- 
verschiedenheiten unter den zuständigen Stellen im Reiche und unter den 
Mitgliedern des preußischen Ministeriums zu operieren versucht wird. 
Einerseits insinuieren radikale Blätter, daß Graf Posadowsky den agrari- 
schen Forderungen entschiedener entgegentrete als der Reichskanzler, andrer- 
seits deutet die „Deutsche Tageszeitung“ an, daß Minister v. Podbielski, 
obgleich amtlich zur Vertretung der Reichstagsvorlage verpflichtet, doch 
persönlich weiteren Erhöhungen und Bindungen der landwirtschaftlichen 
Schutzzölle zuneige. Diesen Behauptungen stellen wir die Tatsache ent- 
gegen, daß die große Mehrheit der Bundesregierungen, insbesondere alle 
größeren Bundesstaaten, wie sämtliche preußischen Minister, ohne jede 
Ausnahme, auf dem Boden der Bundesratsvorlage stehen, und daß daher 
ein Durchbrechen dieser gleichen Front durch Hervortreten oder Zurück- 
bleiben einzelner Stellen ausgeschlossen erscheint. Die amtlichen Vertreter 
des Entwurfes sind durchaus einig, daß das ganze Werk durch Ueber- 
schreiten der vorgeschlagenen Minimalsätze oder durch Vermehrung der Zoll- 
bindungen, sowie durch Uebertreibungen von der Art des vom Grafen 
Posadowsky in voller Uebereinstimmung mit dem Reichskanzler bekämpften 
Antrages wegen der Ursprungszeugnisse auf das ernstlichste gefährdet wird. 
Die Blätter der Rechten und des Zentrums sehen in dieser Erklä- 
rung kein Ultimatum der Regierung und führen aus, daß ein Kompromiß 
der Mehrheitsparteien die Regierung zur Genehmigung höherer Zollsätze, 
als sie der Tarif vorschlägt, bewegen werde. Die konservative „Schlesische 
Zeitung“ stellt antimonarchische Opposition in Aussicht, falls die Forde- 
rungen der Landwirtschaft abgelehnt würden. 
Februar. (Sachsen.) Finanzkonflikt zwischen Regierung 
und Kammer. Ministerkrisis. 
Die Finanzkommission der zweiten Kammer kritisiert scharf mehrere
	        
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