Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar.) 31 
Etatsüberschreitungen. Die für den Bau einer Bahn Chemnitz-Wechselburg 
bewilligten Summen sind im Nachtragsetat erheblich überschritten, so daß 
jetzt in der einen Position statt 700 000 M.  1 200 000 M. gefordert werden, 
während bei zwei anderen Titeln die ursprünglich geforderten Summen 
von 5 334 000 M.  um 2 695 000 M.  bezw. von 3 097 000 M.  um 2 479 000 M.  
überstellt worden sind. Die Kommission erklärt, daß solche außerordentliche 
Ueberschreitungen inkonstitutionell seien, da dadurch die Rechte der Stände 
bei Festsetzung des Etats in wesentlichen Stücken beeinträchtigt würden. 
Bei den Verhandlungen der Kommission mit den kgl. Regierungskommissären 
stellt sich außerdem heraus, daß die Regierung das Projekt nachträglich 
(nach der Bewilligung durch die Kammern) eigenmächtig geändert hat, daß 
Enteignungen des Areals vorgenommen wurden, ehe die Trace feststand, 
daß der neue Kostenanschlag von unteren Instanzen ohne Verständigung 
des Ministeriums aufgestellt und diesem erst vorgelegt worden ist, als die 
Bahn schon zum größten Teil fertig gebaut war. Das beweise die völlige 
Unhaltbarkeit des gegenwärtig bei Bahnbauten eingeschlagenen Verfahrens 
und die durchaus ungenügende Kontrolle desselben. Gleichwohl erklärt die 
Regierung, daß sie eine Verletzung der Verfassung nicht anerkennen könne 
und deshalb um Indemnität beim Landtag nachsuchen werde. Dies hat 
zur Folge, daß die Kommission sich weigert, dem Plenum die Bewilligung 
des Nachtragskredites zu empfehlen. Hierauf erklärt das Finanzministerium, 
daß die Ueberschreitungen „nicht ohne weiteres“ eine Verfassungsverletzung 
involvieren, daß die Regierung aber doch im Hinblick auf die Höhe der- 
selben ausdrücklich um Indemnität nachgesucht haben wolle. Jetzt erklärt 
den Kommission sich befriedigt und beantragt die Bewilligung der fraglichen 
Posten. 
Am 7. Februar erklärt Ministerpräsident v. Metzsch in der Kammer: 
Das Finanzministerium erkenne nicht an, daß die Ueberschreitungen, wie 
behauptet, ein Eingriff in ständische Rechte seien. Das Gesamtministerium 
stehe auf dem Standpunkt, daß es in der bloßen, durch ein pflichtwidriges 
Verhalten der verantwortlichen Ratgeber veranlaßten Ueberschreitung für 
ein an sich bewilligtes Unternehmen eine Beeinträchtigung der Rechte der 
Landesvertretung überhaupt nicht zu erkennen vermöge. Diese Ansicht 
werde auch von den Autoritäten unter den Staatsrechtslehrern vertreten. 
Wolle man sich auf den Standpunkt der Kommission stellen, so würde das 
für die Regierung eine Situation schaffen, in die sie sich keinesfalls bringen 
lassen dürfe, wenn auch selbstverständlich sei, daß die Ueberschreitungen der 
nachträglichen Rechtfertigung durch die Regierung bedürften; die Stände- 
kammer habe auch bisher nie Anstand genommen, unvermeidliche Ueber- 
schreitungen in ansehnlicher Höhe nachträglich gut zu heißen. Wenn die 
Regierung die Erklärung in der Kommission abgegeben habe, sie erkenne 
eine inkonstitutionelle Handlungsweise nicht an, wolle aber bei der Höhe 
der Ueberschreitungen doch um Indemnität ausdrücklich nachgesucht haben, 
so habe sie eine bestehende Meinungsverschiedenheit über eine Frage des 
Etatsrechtes im Wege des Kompromisses beseitigen wollen. Mit dem Aus- 
drucke Indemnität habe keineswegs zugestanden werden sollen, daß eine 
Verfassungsverletzung vorliege. 
Die Führer der konservativen und nationalliberalen Fraktion ver- 
fechten den Standpunkt der Kommission. Abg. Stöckl (kons.): Er bedauere, 
daß die Regierung durch die heutige Erklärung ihre früher in der Kom- 
mission gegebene wieder abschwäche. Sache der Regierung sei es, darauf 
zu achten, daß im Interesse eines gesunden Verfassungslebens das Recht 
der Stände gewahrt bleibe. Die Kammer sei mit den Leistungen des 
Finanzministeriums durchaus nicht einverstanden, wünsche vielmehr, daß
	        
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