Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Achtzehnter Jahrgang. 1902. (43)

DVas Veutsche KReich und seine einjelnen Glieder. (April 29. 30.) 69 
legung des Vertrages sollen einem Schiedsgericht unterbreitet werden. Die 
Vertragsdauer ist, wie oben angegeben, auf 20 Jahre festgesetzt, jedoch 
unter Vorbehal des gegenseitigen Rechtes, nach Ablauf von 10 Jahren 
eine Revision des Vertrages zu verlangen und von dem Vertrage zurück- 
zutreten, falls diese Revision nicht zu stande kommt. Aus dem Gesagten 
geht hervor, daß es ein großer Irrtum sein würde, wollte man den Ver- 
trag unter dem Gesichtspunkte betrachten, als hätten die deutschen Gesell- 
schaften sich mit der durch die Gründung des amerikanisch-englischen Schiff- 
fahrts-Syndikats einmal gegebenen, an sich unerwünschten Lage bestmöglich 
abgefunden, das ist aber keineswegs der Fall, die deutschen Gesellschaften 
erwarten im Gegenteil von der jetzt endlich vollzogenen, bisher niemals 
erreichbar gewesenen Einigung der großen amerikanischen und englischen 
Reedereien ein Aufblühen auch ihres eigenen Geschäfts. Weitere eingehen- 
dere Mitteilungen über den Vertrag dürften in den außerordentlichen 
Generalversammlungen erfolgen, welche die beiden Gesellschaften demnächst 
berufen werden. 
29. April. Die Bayerische Abgeordnetenkammer ge- 
nehmigt das Schulbedarfsgesetz nach mehrwöchiger, sehr lebhafter 
Beratung mit 81 gegen 70 Stimmen. 
Der Gesetzentwurf war von den Liberalen scharf bekämpft worden, 
weil die größeren Städte im Genuß der staatlichen Zulagen ungünstiger 
gestellt werden sollen als solche unter 10000 Einwohnern, und weil die 
Gemeinden, wenn der vorgeschriebene Religionsunterricht durch die Seel- 
sorgsgeistlichen unter Mitwirkung des Lehrpersonals nicht vollständig erteilt 
werden kann, zur Bezahlung der weiter erforderlichen Katecheten angehalten 
werden können. Bisher war die Pfarrgeistlichkeit zum unentgeltlichen 
Religionsunterricht verpflichtet. Gegen diese letzte Bestimmung erklärt sich 
auch die Regierung, die im übrigen wegen ihrer Uebereinstimmung mit 
der Mehrheit von den Liberalen scharf getadelt wird. Ferner wird die 
grundsätzliche Verpflichtung der Gemeinden aufgestellt, für konfessionelle 
Minderheiten Konfessionsschulen einzurichten, aber die Möglichkeit von 
Simultanschulen wird nicht ausgeschlossen. — Das Grundgehalt der Lehrer 
beträgt 1200, das der Lehrerinnen 1000 Mark. — Für das Gesetz stimmt 
das Zentrum, dagegen alle übrigen Parteien mit Ausnahme des Abg. Beckh 
von der freien Vereinigung. 
29. April. Das Preußische Abgeordnetenhaus geneh- 
migt eine Abänderung der Landgemeindeordnung, wonach größeren 
Gemeinden die Anstellung von besoldeten Schöffen gestattet wird. 
29. April. Der Reichstag genehmigt in dritter Beratung 
die Seemannsordnung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. 
29./30. April. 1. Mai. (Düsseldorf.) 7. Hauptversammlung 
der freien kirchlich-sozialen Konferenz. Hauptreferate: Ipr. Lepsius, 
Macht und Sittlichkeit im nationalen Leben; Professor v. Nathusius, 
Christliche Liebe und soziale Hilfe. 
30. April. (Sachsen.) In der Zweiten Kammer erklärt 
Ministerpräsident v. Metzsch auf das Verlangen nach höheren agra- 
rischen Zöllen, daß die Regierung an der Tarifvorlage festhalte
	        
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