Das Veuische Reich und seine einzelnen Glieder. (Dezember 10. 11.) 183
und der Sozialdemokratie passieren könnte — ich habe das oft gesagt —,
wäre, wenn Sie durch irgend ein Wunder plötzlich an die Gewalt kämen.
(Zurufe bei den Sozialdemokraten: Tun Sie es doch!) Dann würden Sie
Ihre Unfähigkeit nach innen und außen, Ihre Unfähigkeit, auswärtige
Politik zu führen, Ihre ganze Impotenz in bengalischer Beleuchtung zeigen.
(Lebhafte HZuttimmm Ich gebe allerdings zu, daß diese Geschäftsüber-
nahme auch für uns nur heilloses Pech sein würde (Heiterkeit), denn wenn
Sie auch nichts Neues, nichts Dauerndes organisieren und durchführen
würden, im Zerstören und Ruinieren würden Sie groß sein. (Lebhafte
Zustimmung.) In der langen Ausführung des Herrn Bebel traten zwei
Gesichtspunkte hervor: einmal das von ihm ja früher so oft proklamierte
unverhüllte Bestreben, die bestehende Ordnung der Dinge, unsere bestehende
Staats= und Gesellschaftsordnung umzustürzen, und dann Klagen über
mangelndes Entgegenkommen des Staates gegenüber der sozialdemokratischen
Bewegung. Solche Klagen erinnern mich an das französische Sprichwort
von dem Tier, das sehr böse sich verteidigt, wenn es angegriffen wird.
Verteidigen wird sich der Staat und verteidigen werden wir uns. (Zuruf
bei den Sozialdemokraten: Wer ist der Staat?) Sie werden das schon
merken! Wir werden die bestehende Ordnung der Dinge, wir werden die
Fundamente, auf welchen diese Ordnung ruht: die Religion, die Monarchie,
die langsam angewachsene Kultur, wir werden das Haus, das vielen Ge-
schlechtern Obdach gewährt hat und das noch unsere Kinder aufnehmen
soll, zu verteidigen wissen und verteidigen können, denn an diesem Hause
haben so viele Geschlechter gearbeitet, viele große Kaiser und viele tüchtige
Männer. Es ist das Resultat von viel hingebender Treue, von Schweiß
und Blut. Aufzubauen ist schwer, einzureißen ist leicht. Die Künstler,
die einen Tempel aufführen, werden selten geboren. Aber Herostrate, die
bereit sind anzuzünden, die sind zu Dutzenden vorhanden. (Beifall.) Wir
werden unser Haus zu verteidigen wissen mit aller Festigkeit, aber mit
aller Ruhe. Wir werden die Gefahren nicht fürchten, wir wissen sehr wohl,
welche Gefahren die Quellen unserer Zukunftshoffnungen, die Quellen
unserer Macht und Wohlfahrt bedrohen, und alle Versuche, an die Stelle
der organischen, gesetzmäßigen und verfassungsmäßigen Fortentwicklung die
widerrechtliche und gewaltsame Revolution zu setzen, werden nach meiner
Ueberzeugung scheitern an dem gesunden Sinn des deutschen Volkes, das
sich selbst aufgeben würde, wenn es Ihnen (nach links) folgen würde.
(Lebhaftes Bravo! rechts und in der Mitte. Unruhe bei den Sozial-
demokraten.)
10. Dezember. (Baden.) Dem Landtage geht eine Vor-
lage auf Erhöhung der Einkommen= und Kapitalrentensteuer um
20 Prozent zu.
p11. Dezember. Im Reichstage bildet sich eine neue Frak-
tion, die freie wirtschaftliche Vereinigung. Ihr gehören 11 Ab-
geordnete antisemitischer und agrarischer Richtung an.
11./15. Dezember. (Reichstag.) Etat. Vorgänge in der
Armee. Bekämpfung der Sozialdemokratie.
Abg. Sattler (ul.) bedauert die Soldatenmißhandlungen der letzten
Zeit. Preuß. Kriegsminister v. Einem tadelt scharf die im Bilseprozeß
aufgedeckten Schäden, die zum Teil durch Unachtsamkeit des Kommandeurs
entstanden seien. Gegen die Mißhandlungen werde aufs schärfste vor-