Das Denisqhe Reich und seine einzelnen Glieder. (April 3.) 81
wirtschaften. Wenn wir das aber tun, hoffen wir, daß das Ergebnis für
1903 besser sein wird, als der Etat es annimmt. Zum Schluß noch eine
erfreuliche Mitteilung. Ich kann erklären, daß das Defizit pro 1902, das
vom Finanzminister im Januar für den ganzen Staatshaushalt auf 35
Millionen angegeben wurde, dadurch verschwinden wird, daß es mir ge-
lungen ist, in meiner Verwaltung 15 Millionen Mark zu sparen und außer-
dem so viel Mehreinnahmen zu haben, daß die vielgeschmähten Eisenbahnen
mit einem Etat abschließen, der die 35 Millionen für 1902 voll deckt. (Beifall.)
3. April. (Preußisches Herrenhaus.) Debatte über die
moderne Theologie und die Lehrfreiheit.
Frhr. v. Durant: Ich habe schon im vorigen Jahre über die Be-
setzung der Professuren der Theologie gesprochen. Es ist eine ganz falsche
Anschauung, zu glauben, daß die sog. moderne Theologie oder, besser ge-
sagt, die negative Theologie in gleiche Linie gestellt werden kann mit der
andern Richtung der Theologie. Nur das ist Theologie, was auf dem
Grunde des ökumenischen Bekenntnisses steht. Es ist leider auch von
positiver Seite der Ausspruch bekannt, die Reformation sei eine Tat der
Wissenschaft, nicht des Gewissens; das verstehe ich nicht. Ich begreife es
auch nicht, wie man sagen kann, verschiedene Richtungen innerhalb der
protestantischen Kirche seien notwendig. Um das zu verstehen, braucht
man nur die Schriften von Harnack und Lemme über das Wesen des
Christentums zu vergleichen. Die Theologieprofessoren sollten nach meiner
Ansicht ihre Forschung mehr darauf richten, die Absichten Gottes zu er-
gründen, als seine Existenz anzuzweifeln und jedes Wunder zu leugnen.
Die moderne Theologie bedeutet tatsächlich einen Abfall von Gott; das
ist moderne Wissenschaft! Eine erfolgreiche Wirksamkeit kann nur durch
den lebendigen Bibelglauben an die Macht des Gotteswortes erzielt werden.
Wissenschaft ist neben dem Glauben nur insoweit von Wert, als sie die
Grundwahrheiten der Kirche fundamental nicht antastet. Die künftigen
Diener der Kirche sollen nur von solchen Lehrern ausgebildet werden, die
wirklich den wahren und echten Glauben haben. Auch Männer wie Eduard
von Hartmann und Baumgarten in Kiel haben es ausgesprochen, daß die
meisten modernen Theologen, wie auch sie selbst, nicht mehr Vertreter der
christlichen Religion sind. Das ist das Bekenntnis eines ehrlichen Mannes!
Ebensowenig, wie man in der medizinischen Fakultät neben medizinischen
Lehrstühlen solche für Homöopathie errichtet, darf man in der theologischen
Fakultät neben theologischen Lehrstühlen solche für moderne Theologie er-
richten. In neuerer Zeit sind mir wieder viele unglaubliche Aeußerungen
von modernen Theologen bekannt geworden. Ich freue mich, daß die Be-
unruhigung, die dadurch hervorgerufen wird, jetzt auch die Provinzial-
synoden zu beseitigen suchen, indem sie sich mit dieser Frage eingehend
beschäftigen. Ich freue mich weiter, daß Theologen der positiven Richtung
vorzügliche Schriften herausgegeben haben, die ich auch Ihrem Studium,
meine Herren, dringend empfehlen kann. Ich nenne u. a. zum Beispiel
die Schriften des Hofpredigers Stöcker. Ich bin weit entfernt, die Frei-
heit der Wissenschaft und der Forschung an sich anzugreifen. Aber es ist
immer ein Unterschied zu machen zwischen freier Forschung und unbe-
schränkter Lehrfreiheit. Wir halten es für unzulässig, daß die künftigen
Diener der Kirche von Lehrern vorgebildet werden, die sich mit den funda-
mentalen Sätzen eben dieser Kirche in Widerspruch setzen. Eine Kirche,
die derartiges duldet, müßte ihrem Verfall entgegengehen. Der Träger
der Krone, der bei uns gleichzeitig summus episcopus der größten, un-
serer preußischen Landeskirche ist, muß sich dagegen verwahren. Ich ver-
Europäischer Geschichtskalender. IIIV. 6