Das Ventsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 26.—30.) 89
wird. 6. Das Zentralwahlkomitee hat für das rechtzeitige Erscheinen einer
billigen gedruckten Zusammenstellung der Wahlvorschriften Sorge zu tragen.
26. April. (Königsberg i. d. Neumark.) Botschafter a. D.
v. Keudell, persönlicher Freund Bismarcks, 80 Jahre alt, k.
27. April. Das Preußische Abgeordnetenhaus geneh-
migt die Entwürfe über den weiteren Erwerb von Eisenbahnen für
den Staat und über den Erwerb des ostpreußischen Südbahnunter-
nehmens für den Staat.
28. April. (Elsaß-Lothringen.) Antrag auf Veränderung
der Stellung Elsaß-Lothringens im Reiche.
Der Landesausschuß genehmigt mit großer Mehrheit folgenden An-
trag: Die Landesregierung zu ersuchen, der Reichsregierung den Wunsch
zu unterbreiten: 1. daß die Verfassung des Deutschen Reiches bezw. das
Reichsgesetz betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens dahin
abgeändert werde, daß der Reichstag als gesetzgeberischer Faktor für Elsaß-
Lothringen ausgeschaltet wird; daß dementsprechend 2. dem Landesausschuß
die Befugnisse, die Stellung und der Name eines Landtages für Elsaß-
Lothringen erteilt werde; 3. daß bei Beratungen von elsaß-lothringischen
Angelegenheiten im Bundesrate die drei vom Landesherrn zu ernennenden
Vertreter Elsaß-Lothringens zur Abstimmung berechtigt sein sollten. —
Staatssekretär v. Köller erklärt nach der Abstimmung: Die Landesregie-
rung hat sich an der Erörterung nicht beteiligt, weil feststeht, daß ein
etwaiges Gesetz, das dem Antrage entspricht, nicht angenommen werden
kann, und bet es sich lediglich darum handelt, einen Wunsch des Landes-
ausschusses an zuständiger Stelle vorzulegen. Die Landesregierung wird
den Beschluß an zuständiger Stelle, der Reichsregierung, die, wie ich an-
nehme, der Reichskanzler ist, unterbreiten.
29. April. (Reichstag.) Interpellation über die Kündigung
der Handelsverträge.
Abg. Graf Limburg-Stirum (kons.) interpelliert, wann die Re-
gierung die bestehenden Handelsverträge kündigen wolle. Staatssekretär
Graf Posadowsky: Ganz abgesehen von den staatsrechtlichen Bedenken,
welche in diesem hohen Hause wiederholt eingehende Erörterung gefunden
haben, kann der Herr Reichskanzler zur Zeit aus dringlichen sachlichen
Gründen, welche besonders auch die Landwirtschaft nahe berühren, keine
Auskunft darüber geben, wann die bestehenden Handelsverträge durch neue
ersetzt oder gekündigt werden können. Der Herr Reichskanzler muß daher
die Beantwortung der Interpellation ablehnen.
In der folgenden Debatte fordern die Redner des Zentrums und
der Rechten, daß die Regierung dem Auslande gegenüber in den land-
wirtschaftlichen Zöllen nicht zu nachgiebig sei.
30. April. Der Reichstag genehmigt nach eingehender
mehrtägiger Debatte die Novelle zum Krankenversicherungsgesetz.
Das Gesetz bringt eine Anzahl Verbesserungen, die als unausschieb-
bar betrachtet wurden. Die Regierung bezeichnet es selbst nur als Pro-
visorium und verspricht binnen kurzem eine gründliche Reform vorzu-
schlagen. — Der Reichstag fordert in einer Resolution Ausdehnung der
Krankenversicherung auf die Hausindustrie, das Gesinde, die land= und
forstwirtschaftlichen Arbeiter.