Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwanzigster Jahrgang. 1904. (45)

Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 3./6.) 77 
Möge auch der Stadt Mainz diese Brücke in jeder Beziehung zur Zierde 
und zum Segen gereichen. 
3. Mai. Der Reichstag verwirft mit großer Mehrheit in 
zweiter Lesung unter Widerspruch der Vertreter des Bundesrats 
die Zuschußanleihe von 59½ Millionen Mark zu den einmaligen 
Ausgaben des ordentlichen Etats. 
3. Mai. Divisionskommandeur Generalleutnant v. Trotha 
in Trier wird zum Oberbefehlshaber in Südwestafrika ernannt. 
3./6. Mai. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Erste Be- 
ratung der Kanalvorlage. Rentabilität; Handelsverträge; Kom- 
pensationen. 
Minister der öffentlichen Arbeiten v. Budde: Trotz der Vergröße- 
rung des Eisenbahnnetzes seien neue Wasserstraßen unentbehrlich. Z. B. habe 
New--Vork eine riesige Wasserstraße mit einem Aufwand von 420 Millionen 
Mark erbaut; Frankreich habe seit 1871 1500 Millionen Francs für Wasser- 
straßen ausgegeben, ohne daß dabei eine Rentabilitätsberechnung gefordert 
sei. Auch Belgien und Holland hätten ihr Kanalnetz stetig verdichtet. 
Oesterreich habe 1901 den Bau neuer Wasserstraßen von 1500 Kilometer 
Länge beschlossen und dabei weniger auf finanzielle Rentabilität als auf 
wirtschaftliche Erfolge gerechnet. Rußland besitze 1850 Kilometer Kanäle 
und habe 1904 für die Wasserstraßen 72 Millionen Rubel ausgeworfen. 
„Seit 1901, also seit jener Zeit, wo wir uns hier im Hause mit den 
Wasserstraßen beschäftigen, haben unsere Nachbarstaaten ganz erhebliche 
Aufwendungen für Wasserwege gemacht. Man hält diese nicht für über- 
lebt. Rings um Deutschland herum baut man ein Wasserstraßennetz mit 
billigen Tarifen aus. Wir werden bei unserem Wettbewerb mit dem Aus- 
lande damit rechnen müssen.“ — In Deutschland würde gegen die Wasser- 
straßen geltend gemacht, daß sie die Eisenbahnen schädigten. Dies würde 
widerlegt durch die beste Wasserstraße der Welt, den Rhein; rechts und 
links von ihm gäbe es leistungsfähige Vollbahnen, und Nebenbahnen ent- 
wickelten sich fortwährend. Da der Staat ein Eisenbahnmonopol geschaffen 
habe, habe er auch die Pflicht, die Wasserstraßen auszubauen; sonst würde 
sein Monopol kulturwidrig wirken. Die Eisenbahneinnahmen würden nicht 
leiden durch die Konkurrenz der Wasserstraßen. „Im Jahre 1903 haben 
nach den Feststellungen die Bruttoeinnahmen nicht 1511, sondern 1540,4 
Millionen betragen, der Ueberschuß nicht 600 Millionen, sondern 607,9 
Millionen. Der Betriebskoeffizient ist zurückgegangen auf 59,86 Prozent. 
Die Verzinsung des Anlagekapitals beträgt etwa 7,3 Prozent. Eine der- 
artige glänzende Entwickelung der Eisenbahnen, die wir in den letzten 
Jahren erfahren haben, haben wir in keinem anderen Staate erlebt. Es 
ist nicht zu befürchten, daß die weitere Entwickelung der Eisenbahnen durch 
die Kanalbauten geschädigt wird. Wenn im rheinisch-westfälischen Industrie- 
gebiet die geplanten Kanäle nicht gebaut werden, so müssen wir dort neue 
Bahnen anlegen, die mindestens so viel kosten, wie der Staatszuschuß zum 
Dortmund-Rhein-Kanal.“ — Die Industrie habe von den Kanälen den 
Vorteil der billigen Fracht und der Möglichkeit der Dezentralisation, was 
von hoher sozialer Bedeutung sei. Am notwendigsten sei der Rhein- 
Hannover-Kanal. Neben den wirtschaftlichen Gründen, die im allgemeinen 
für die Kanäle anzuführen seien, komme hier noch in Betracht, daß eine 
Entlastung des Bahnverkehrs auf dieser Strecke dringend notwendig sei. 
 
	        
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