226 Italien. (Februar 21. 26.)
21. Februar. Ein Gesetzentwurf über Vergrößerung des
Staatsbahnnetzes und den Bahnbetrieb wird vorgelegt.
Der Staat soll den Betrieb der Linien des Mittelmeer-, Adriatischen
und sizilischen Netzes übernehmen, ausgenommen den Betrieb der Linien,
für die die Gesellschaft der Meridionalbahnen die Konzession erhalten hat.
Für die Ablösung der Eisenbahngesellschaften sind 457 Millionen Lire, für
Reparaturen 420 nötig. Die Summen sollen ohne Anleihen aufgebracht
werden. Der Gesetzentwurf verbessert insbesondere die wirtschaftliche Lage
des Eisenbahnpersonals und schafft zu dessen Gunsten 1. wählbare Spezial-=
räte und einen Generalrat des Personals und 2. obligatorische Schieds-
gerichte, gebildet zu gleichen Teilen von Vertretern des staatlichen Netzes
und des Personals, ferner einem Staatsrat als Präsident, einem Rat des
Kassationshofes und einem Rat des Rechnungshofes, die frei von den be-
treffenden hohen Körperschaften gewählt werden. Der regelmäßige Betrieb
soll dadurch gesichert werden, daß Verabredungen zur Unterbrechung des
Betriebs (Streiks) mit Gefängnis bestraft werden.
26. Februar. Opposition der Eisenbahner gegen die Eisen-
bahnnovelle.
Die Bestimmungen der Eisenbahnvorlage über den Streik finden unter
den Eisenbahnangestellten heftigen Widerspruch. Die Führer ihrer Ver-
einigungen beschließen mit Rücksicht auf die früheren Erfahrungen nicht durch
einen Streik sondern durch Obstruktion dagegen zu protestieren und so die
Regierung durch Lahmlegung des Verkehrs zur Aenderung des Entwurfs zu
zwingen, ohne ihr einen legalen Grund zum Einschreiten zu geben. Die
„Allg. Ztg."“ schreibt über das Vorgehen: „Man kann die zwischen gestern
und heute eingeleitete Obstruktion dahin definieren, daß sie in einer schikanösen
und absichtlich übertriebenen Anwendung aller möglichen Bestimmungen des
Betriebsreglements besteht, um Abfahrt, Fahrgeschwindigkeit und Ankunft
der Züge zu hemmen. Als Beispiele seien hier nur einige Nummern des
reichhaltigen Repertoires, das die Eisenbahner seit gestern durchführen, mit-
geteilt: Das Reglement schreibt vor, daß vor Abgang jedes Zuges, Achsen,
Bremsen und Heizvorrichtungen vom Zugpersonal unter Prüfung zu über-
nehmen sind. Das geschieht gewöhnlich in 5— 10 Minuten, jetzt verwenden
die Herren 1½—2 Stunden dazu. Das Reglement schreibt vor, daß Zugs-
verspätungen von mehr als 10 Minuten jedem Bahnwärter telephonisch
mitzuteilen sind. Das wurde fast nie durchgeführt; heute halten die Bahn-
wärter alle Züge so lange auf der Strecke auf, bis sie die telephonische
Mitteilung erhalten haben. Dazu kommen dann noch Punkte, in denen die
unglücklichen Verhältnisse der italienischen Bahnen tatsächlich bisher zwangen,
das Reglement nicht zu beachten. So soll ein Zug nur dann in den
Bahnhof einfahren, wenn das Einfahrtsgeleise ganz frei ist. Da aber alle
wichtigeren Bahnhöfe, besonders die von Rom, Neapel, Genua, Florenz zu
klein sind, so half man sich damit, den Zug nur zur Hälfte auf das Geleise
fahren zu lassen und auf der anderen Hälfte schon einen neuen Zug zu
formieren. Jetzt weigern sich die Eisenbahner unter Berufung auf das
Reglement, und alle einfahrenden Züge müssen stundenlang vor dem Bahn-
hof warten, bis das Geleise ganz frei ist, das wiederum zu Obstruktions-
zwecken nur mit äußerster Langsamkeit frei gemacht wird. Und tausend
Schikanen dieser Art bewirken, daß alle Züge Verspätungen von 4—10
Stunden erleiden, so daß die schwersten Verkehrshemmungen tatsächlich ein-
getreten sind."“
Die Obstruktion endet nach einigen Tagen, weil das Publikum