Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1906. (47)

Das Denischte Reith und seine einzelnen Slieder. (Juni 16.) 129 
zustand auf dem Gebiete der Schulunterhaltung ist außerordentlich ver- 
schieden und unsicher, teilweise veraltet und ungerecht; fort und fort ent- 
stehen neue Streitigkeiten und verstärken die Mißstimmung über die Volks- 
schullasten. Es wird damit ein willkommenes Agitationsmittel geboten, 
das auf dem platten Lande die Kreise, die zusammenstehen sollen, die 
Großgrundbesitzer, die mittleren und die kleinen Besitzer, gegeneinander 
verfeindet. Der Entwurf macht nach dem Grundsatz der Verfassung die 
politischen Gemeinden und die Gutsbezirke zu Trägern der Volksschul- 
lasten. Es drängte sich dabei die Frage auf, ob nicht besser leistungs- 
fähigere, breitere Körperschaften zu Trägern der Lasten zu machen seien. 
Es war dabei an den Staat, an die Kreise oder an andere größere Ver- 
bände zu denken. Die Regierung hält aber an dem Grundsatz der Ver- 
fassung fest, zumal die politisch außerordentlich schwierige Frage der 
Staatsschule kaum zu lösen sein würde. Sobald 100000 Lehrer und 
Lehrerinnen zu unmittelbaren Staatsbeamten gemacht würden, müßte auch 
ihre gesamte Stellung, auch ihre Stellung zur Kirche u. s. w., gesetzlich 
geregelt werden; und das würde ohne tiefgehende Kämpfe unmöglich sun 
es würde aber auch bedenklich sein, das Interesse der Nächstbeteiligten an 
der Volksschule ganz auszuschalten. Die größeren Gemeinden haben Vor- 
treffliches für die Entwickelung der Volksschule geleistet. Es würde nicht 
zur Förderung, sondern zur Hemmung und nachteiligen Schablonisierung 
der Volksschule führen, wenn man das Interesse der örtlich Beteiligten 
ausschlösse. Würden die Lehrer zu Staatsbeamten gemacht, so müßte auch 
eine einheitliche Regelung ihrer Gehälter erfolgen, wobei erhebliche finan- 
zielle Opfer und damit eine Belastung der Steuerzahler nicht zu umgehen 
wäre. Daher ist nach Ansicht der Regierung die Idee der Staatsschule 
undurchführbar; eine Lösung der Frage ist vielmehr nur auf Grundlage 
der Verfassung zu finden, welche die Gemeinden zu Trägern der Schul- 
lasten macht. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, auch die Gutsbezirke 
weiter zu Trägern der Volksschullasten zu machen und nur diejenigen 
besonderen Bestimmungen vorzusehen, welche aus der Eigenart der Guts- 
bezirke folgen. Daß solche Maßnahmen in manchen Landesteilen — aller- 
dings nicht überall — eine Mehrbelastung der Gutsbesitzer erfordern, 
unterliegt keinem Zweifel. Aufgabe der ergänzenden Staatsmittel ist es, 
dafür zu sorgen, daß diese Belastung nicht eine unzulässige Höhe erreicht. 
Bei den Beratungen im anderen Hause ist hinsichtlich der schwierigen Frage 
der Unterverteilung der Schullasten auf die einzelnen Gutsbezirke und 
Gemeinden in Gesamtschulverbänden die Leistungsfähigkeit berücksichtigt, 
und deshalb sollen die Lasten zur Hälfte nach der Zahl der Schulkinder, 
zur anderen Hälfte nach dem Steuersoll aufgebracht werden. Es ist ja 
schwer, für einen solchen Verteilungsmaßstab eine einheitlich zutreffende 
Norm zu finden. Die Regierung glaubt aber, daß die Fassung des 
anderen Hauses, wonach auch Abweichungen möglich sind und eine andere 
Verteilung auf Antrag erfolgen kann, auch den Wünschen dieses Hauses 
entspricht. Es ergab sich ferner die Notwendigkeit, das Vermögen der 
Sozietätsschulen auf die bürgerlichen Gemeinden zu übertragen, wobei es 
sich allerdings um viele Millionen handelt. Was die Frage der konfessio- 
nellen Verhältnisse betrifft, so wäre nach den Erklärungen der Parteien 
im anderen Hause ein Versuch, die Schulunterhaltung ohne Regelung der 
konfessionellen Verhältnisse zu regeln, aussichtslos gewesen. Deshalb hat 
sich die Regierung mit den Bestimmungen des Kompromißantrages ein- 
verstanden erklärt. Dabei ist absichtlich vermieden worden, die Ausdrücke 
„konfessionelle Schule“ und „Simultanschule“ in das Gesetz aufzunehmen, 
da die Definition dieser Begriffe nicht ausreichend feststeht. Durch die 
Europäischer Geschichtskalender. XVII. 9
	        
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