228 Hos Neuische Reich und seine einjelnen Glieder. (Dezember.)
gegenwirken. Auf also zum Wahlkampf für Deutschlands Ehre, Kraft und
Ansehen gegen alle seine Gegner. Berlin, den 18. Dezember 1906. Der
Vorstand der Deutschen konservativen Partei.
Aufruf des Zentrums: Der Reichstag ist aufgelöst, weil die Reichs-
tagsmehrheit eine Mehrforderung der verbündeten Regierungen für die
militärische Expedition im südwestafrikanischen Schutzgebiete im Betrage
von 8900000 Mark abgelehnt hat. Die Zentrumsfraktion hat sich zu dieser
Ablehnung entschlossen, weil sie nach eingehender Prüfung der Sachlage
zu der Ueberzeugung gelangt war, daß die Niederkämpfung des letzten
Restes des Eingeborenenaufstandes mit einem wesentlich geringeren Auf-
wand möglich wäre, wenn sich die Kolonialverwaltung entschließen wollte,
die überaus kostspielige, einen Aufwand von 10000 Mark pro Kopf jährlich
erfordernde Schutztruppe von allen Aufgaben polizeilicher und kultureller
Art zu entlasten und demgemäß ihre Zahl und Kosten dauernd zu ver-
mindern. Ein dahin zielender Antrag der Fraktion ist von den Vertretern
der Kolonialverwaltung einer Prüfung nicht gewürdigt worden. Unsere
Fraktion tritt für eine sparsame und maßvolle, den finanziellen Kräften
des deutschen Volkes entsprechende Kolonialpolitik ein. Bereits hat der
Aufstand in Südwestafrika außerordentliche Aufwendungen von nahezu
400 Millionen Mark erfordert. Noch am Vormittag des Auflösungstages
haben die Mitglieder der Fraktion in der Budgetkommission die Forderung
für die Fortsetzung der Eisenbahn Aus—Keetmanshoop bewilligt; das be-
weist schlagend, daß wir die Mittel zur wirtschaftlichen Entwickelung und
zur Sicherung des Schutzgebietes zu gewähren bereit waren. Uebrigens
schützt uns die ganze bisherige Haltung der Fraktion in den Fragen der
Heeres= und Flottengesetze, der Zolltarife und der Finanzreform vor der
Verdächtigung, daß wir nicht immer bereit seien, für des Vaterlandes Ehre
und Wohl einzutreten. Die Entscheidung über die Bewilligung der Aus-
gaben des Reiches steht dem Reichstage in eigener Verantwortung zu, wie
es die Verfassung gewährleistet. Die Aeußerung des Reichskanzlers, die
Parteien des Reichstages trügen keine Verantwortung, sie könnten For-
derungen annehmen oder ablehnen, bekundet eine Auffassung, die, dem
fürstlichen Absolutismus vergangener Jahrhunderten angehörend, von dem
Beamten eines modernen, konstitutionellen Staatswesens nicht vertreten
werden sollte. Die Auflösung des Reichstages ist nach unserer Ueber-
zeugung ein Angriff auf dessen Stellung als selbständigen, in eigener Ver-
antwortung handelnden gleichberechtigten Faktors der Gesetzgebung. Nicht
die Kommandogewalt des Kaisers, sondern das Budgetrecht des Reichs-
tages bildet den Gegenstand des Streites. Jeder von uns hat die Pflicht,
für die verfassungsmäßigen Rechte der Volksvertretung einzustehen; seien
wir des am Tage der Wahl eingedenkl! Seien wir uns auch bewußt, daß
bei einer anders gebildeten Mehrheit des Reichstages die Garantie entfällt,
daß bei der Bewilligung der bereits angekündigten neuen Steuern, die
von uns immer festgehaltene Schonung der minderbemittelten Klassen auf-
recht erhalten wird. Nach wie vor stehen wir auf dem Boden unseres
Wahlprogrammes vom Jahre 1903. Das verfassungsmäßige Wahlrecht
werden wir unentwegt hochhalten. Mögen unsere Wähler alle Kraft daran
setzen, daß das Zentrum ungeschwächt in den Reichstag zurückkehrt. Mit
Gott für Wahrheit, Freiheit und Recht! Berlin, den 15. Dezember 1906.
Der Vorstand der Zentrumsfraktion im Deutschen Reichstag.
Aufruf der freisinnigen Volkspartei: Auf zum Kampf! Der Reichs-
tag ist aufgelöst. In wenigen Wochen erfolgt die Neuwahl. Das frei-
sinnige Bürgertum in Stadt und Land hat die Pflicht, im bevorstehenden
Wahlkampf alle Kraft einzusetzen, um dem entschiedenen Liberalismus in