Bie öferreichischungarische Monarchie. (Februar 19.) 241
und in dem Parlamentsgebäude war dem Generalmajor Frhrn. v. Leithner
übertragen worden. Den um 9 Uhr im Abgeordnetenhaufe erschienenen
Abgeordneten teilte Abg. Kossuth, der Führer der Unabhängigkeitspartei,
den gestrigen Beschluß der Parteiführer in betreff des Verhaltens der Ab-
geordneten mit. Als im Abgeordnetenhaus zwei höhere Offiziere erschienen,
welche die Oeffnung des Haupttores forderten, erfolgte dessen Oeffnung
ohne jeden Widerstand. Um 9½ Uhr erschien auch der Budapester Polizeichef
Rudnay im Hause; auf die Aufforderung des Abg. Bolgar, dasselbe zu
verlassen, gab er eine verneinende Antwort. Im Abgeordnetenhause spielten
sich die weiteren Vorgänge dann ziemlich schnell wie folgt ab: Gegen 10 Uhr
eröffnete unter sichtlicher Erregung der Abgeordneten, die jedoch eine wür-
dige, gemessene Haltung zu wahren suchten, an Stelle des angeblich oder
wirklich erkrankten Präsidenten v. Justh der Vizepräsident v. Rakowsky die
Sitzung. Er teilte mit, daß die Umgebung des Parlamentsgebäudes von
Militär besetzt und daß Polizei in die Wandelgänge eingedrungen sei; hier-
gegen müsse jedenfalls Verwahrung eingelegt werden. Er gab ferner be-
kannt, daß Generalmajor v. Nyiri eine Zuschrift an den Präsidenten ge-
richtet habe, in der er diesen darum ersuche, seine Ernennung zum könig-
lichen Kommissar mit uneingeschränkter Vollmacht zur Kenntnis des Ab-
geordnetenhauses zu bringen, und sodann ein königliches Handschreiben,
durch das die Auflösung des Abgeordnetenhauses ausgesprochen werde, ver-
lesen zu lassen. Falls das Haus nicht auseinandergehe, werde er (Nyiri)
die Auflösung mit den ihm zu Gebote stehenden Machtmitteln durchführen.
Vizepräsident v. Rakowsky beantragte, das vom königlichen Kommissar
v. Nyiri dem Präsidenten übermittelte Handschreiben uneröffnet dem Ab-
sender v. Nyiri zurückzugeben, da dieser keinerlei Kompetenz besitze, mit
dem Abgeordnetenhaus in amtlichen Verkehr zu treten, und da ferner die
Ernennung eines königlichen Kommissärs mit uneingeschränkter Vollmacht
der Verfassung widerspreche, die anordne, daß die Exekutivgewalt nur durch
verantwortliche Minister, aber nicht durch unverantwortliche Kommissare
ausgeübt werden könne. Ueberdies sei Generalmajor v. Nyiri, der der
Militärdisziplin unterstehe, nicht imstande, eine verfassungsmäßige Funktion
auszuüben. Dieser Antrag wurde mit Stimmeneinheit angenommen und
hierauf die nächste Sitzung auf kommenden Mittwoch anberaumt. Sobald
dieser Beschluß gefaßt war, verließen die Abgeordneten ruhig, aber so schnell
als möglich den Saal. Kaum aber hatten sie denselben verlassen, als in
demselben als Vertreter des königlichen Kommissars der Oberst Fabricius
in Begleitung einer kleinen Militärabteilung im Saale erschien und dort
vor leeren Bänken — es waren nur noch einige Saaldiener anwesend —
aber vor noch gefüllten Galerien, auf denen es sehr lebhaft zuging, das
auf die Auflösung bezügliche Handschreiben des Königs verlas. Von den
Galerien aus wurde mit Protestrufen und Absingung des Kossuthliedes
geantwortet. Hierauf wurden sämtliche Säle und Gänge des Hauses, in
denen noch Abgeordnete, Beamte oder die Journalisten sich auphielten,
polizeilich geräumt. Die Tore wurden gesperrt und versiegelt. Vor dem
Gebäude wurde eine Polizeiwache aufgestellt. Im Magnatenhause wurde
das königliche Handschreiben, welches die Auflösung des Reichstages ver-
fügt, zur Kenntnis genommen, mit dem Bemerken, daß das Haus auf die
Einberufung des neuen Reichstags innerhalb der gesetzlichen Frist hoffe.
Die Nation werde dann Gelegenheit haben, über das gegenwärtige System
ihr Urteil zu fällen."“
Eine außerordentliche Ausgabe des Amtsblattes vom 19. Februar
veröffentlicht die drei königlichen Handschreiben, die dem Präsidenten Justh
zugegangen sind, und von denen zwei die Einberufung des Reichstages
Europäischer Geschichtskalender. XVII. 16