Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1908. (49)

28 Das Deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Februar 15. 17.) 
sind, daß sie nicht allein an der wissenschaftlichen Ausrüstung, sondern 
auch an der christlichen Charakterbildung der Jugend mitzuwirken berufen 
sind. Daß das die Richtschnur für mich sein wird, werden die Herren 
hoffentlich aus meiner Verwaltung erkennen.“ 
15. Februar. (Bayerische Abgeordnetenkammer.) Kultus- 
minister v. Wehner bespricht im Anschluß an den Fall Schnitzer 
das Plazet: 
Das Placetum regium sei in der Verfassung begründet, keine Re- 
gierung könne es außer acht lassen. Das Plazetum habe bezüglich der 
Verkündigung der kirchlichen Erlasse keine praktische Bedeutung mehr, wohl 
aber bezüglich des Vollzuges kirchlicher Anordnungen. Der Staat müsse 
prüfen, welchen Anordnungen er seinen weltlichen Arm leihen solle. Die 
Erteilung des Plazets beseitige die Hindernisse für den Vollzug. Die 
Encyclica pascendi habe das Plazet erfordert wegen ihres disziplinären 
Teils. Das Plazet habe nicht verweigert werden können, da die Enzyklika 
sich vollständig innerhalb des Wirkungskreises der kirchlichen Lehre und 
der Gesetzgebungsgewalt bewege. Mit der Verweigerung des Plazets wäre 
die Kirche in ihrem inneren Wirkungskreise gehemmt gewesen. Der Minister 
sagt über die Freiheit der Universitätslehrer: Die Theologieprofessoren 
seien nicht bloß Diener das Staates, sondern auch Diener der Kirche. Die 
theologischen Fakultäten seien konfessionelle Anstalten. Der Theologie- 
professor sei an die dogmatische Grundlage gebunden, ein Urteil darüber, 
ob er die richtigen Lehren vortrage, könne nicht der Staat, sondern nur 
die Kirche fällen. Der Theologieprofessor sei als Hochschullehrer der staat- 
lichen Disziplin unterworfen, und nur der Staat könne gegen ihn vor- 
gehen. Wegen des Falles des Professors Schnitzer sei der Nuntius nicht 
bei ihm gewesen. Wie sich der Fall weiter entwickeln werde, könne er 
noch nicht sagen; wenn ein staatliches Eingreifen notwendig werden sollte, 
werde strenge nach Gesetz und Verfassung verfahren werden. 
17. Februar. (Berlin.) Der Bund der Landwirte beschließt 
in seiner Generalversammlung folgende Resolutionen: 
1. Zur Blockpolitik: „Eingedenk seines Grundsatzes, des Volkes und 
des Vaterlandes Wohl über den Streit der politischen Meinungen zu stellen, 
begrüßt der Bund der Landwirte die vom Reichskanzler Fürsten v. Bülow 
eingeleitete Blockpolitik als den Versuch einer Verständigung im Kampfe 
für die Erhaltung und Förderung der nationalen Güter. Der Bund ist 
bereit, hierbei mitzuarbeiten, um nationale Ziele zu verfolgen. Ueber den 
Parteien stehend, lehnt er es jedoch ab, sich von der Verfolgung seiner, 
die allgemeine nationale Wohlfahrt anstrebenden wirtschaftlichen Ziele 
irgendwie abdrängen zu lassen.“ 
2. Zur Reichssteuerreform: „Der Bund der Landwirte steht auf 
dem Standpunkte, daß den Einzelstaaten das ihnen bei der Gründung des 
Reiches gewährleistete ausschließliche Recht der Erhebung direkter Steuern 
zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ihres Staatshaushalts unbedingt 
erhalten bleiben muß, während anderseits das Reich die indirekten Steuern 
für seinen Haushalt auszubauen hat. Der Bund ist bereit, an einer groß- 
zügigen Ordnung der Reichsfinanzen auf dem Gebiete der indirekten Steuern 
tatkräftig mitzuarbeiten. Er lehnt es aber ab, durch Herausgreifen ein- 
zelner Gegenstände die bisherige Flickarbeit fortzusetzen. Er fordert im 
Sinne ausgleichender Gerechtigkeit eine zeitgemäße Besteuerung derjenigen 
Erzeugnisse, welche nach ihrer steuerlichen Ertragsfähigkeit dazu besonders
	        
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