84 Des Vetsche Reich und seine eimelnen Slieder. (März 6.)
hat man sich um die Kleinigkeit von 18 Millionen getäuscht. Auch in
Deutschland hat man sich bei der Einführung der Invalidenversicherung
getäuscht. Diese hätte schlimme finanzielle Wirkungen gehabt, wenn ich
nicht aus den provinziellen Lasten Reichslasten gemacht hätte. Mit neuen
Statistiken würden Sie übrigens den Zeitpunkt, bis zu dem sich Ihre
Wünsche gesetzlich kristallisieren, auf Jahre verschieben. Ich möchte dann
noch ein psychologisches Moment hervorheben: Die fortschreitende Belastung
durch Sozialpolitik hat mehr geheime Gegner, als weitern Kreisen bekannt
ist. Die schönsten sozialpolitischen Anträge werden häufig von Leuten
gestellt, in deren Absicht die Verwirklichung der Anträge keineswegs liegt.
Vieles geschieht hierbei aus taktischen Gründen und nicht aus dem sittlichen
Gefühl der Pflicht gegen unsere Volksgenossen heraus. Auf keinem Gebiet
gibt es eine solche Heuchelei wie auf dem einer gewissen sozialpolitischen
Freundlichkeit. Außerdem fällt die Erhebung Ihrer Wünsche in die Zeit
einer ernsten finanzpolitischen Krise, bei der man neuen Belastungen mit
der größten Vorsicht begegnet. Zudem ist erst als nächste Aufgabe gemäß
gesetzlicher Festlegung die Witwen- und Waisenversicherung zu erledigen.
Die mehrfach hier erwähnte Denkschrift meines Nachfolgers enthält zwei
Gesichtspunkte: den Ausbau der Invalidenversicherung und die Gründung
einer Zuschußkasse. Ich möchte hier als objektiv feststehende Tatsache be-
haupten, daß es völlig ausgeschlossen ist, vom Reich bei einer Angliederung
höhere Lasten zu erhoffen, als diejenigen, welche für die Arbeiterversicherung
geleistet werden. Privilegierte Bestimmungen für Privatbeamte sind auch
finanziell unmöglich, insbesondere die Herabsetzung der Altersgrenze auf
65 Jahre und die Einführung der Berufsinvalidität. Letztere bedeutete
einen Beschluß von unabsehbarer finanzieller Tragweite. (Der Redner
führt dies näher aus und kennzeichnet die verschiedenartige Wirkung bei
einer Arbeiter- und bei einer Privatbeamtenversicherung.) Ich warne Sie,
meine Herren, sich allzusehr über Einzelheiten zu streiten. Für Sie kommt
es doch darauf an, im Rahmen der finanziellen und politischen Möglich-
keiten schnell etwas zu erreichen. Was Sie erstreben, ist, geht man auf
die letzte Wurzel zurück, eine finanzielle Frage. Was können Ihre Leute
leisten, und was ist das Reich bereit, zu gewähren? Von letzterm werden
Sie nicht mehr erhalten, als das, was im Bereich der Invalidenversicherung
liegt, höchstens noch Uebernahme der Verwaltungskosten durch das Reich;
weiteres ist unmöglich zu erlangen. Nach dieser Sachlage sollten Sie Ihre
Wünsche beschränken auf die gemeinsame Forderung nach der Versicherung
überhaupt, und Sonderwünsche zurückstellen. Klammern Sie sich nicht an
Einzelheiten, sondern denken Sie daran, daß, was nicht von Anfang an zu
erreichen ist, doch nach Schaffung des Gesetzes immer noch erreichbar ist.
Auch das Invalidengesetz hat seit der Zeit, da Bismarck es schuf, funda-
mentale Aenderungen erfahren. Ich resümiere mich dahin: Die Privat-
beamtenversicherung bedeutet einen vollkommen neuen Schritt; sie wird
viele Enttäuschungen bereiten, aber auch viel neue Gesichtspunkte schaffen.
Ich möchte Sie deshalb dringend bitten, alle kleinen Differenzen beiseite
zu lassen und sich in ihrem Handeln nur nach der politischen und finan-
ziellen Möglichkeit zu richten. Wie die Invalidenversicherung nach mancherlei
Wandlungen schließlich ganz zum Wohle der Arbeiter dient, so wird auch
die Privatbeamtenversicherung nach Jahrzehnten eine Sie alle befriedigende
günstige und segensreiche Wirkung erlangen.“ Der Rede folgte starker Beifall.
6. März. Reichsfinanzreform.
Das parteiamtliche Organ der Konservativen macht bekannt: „In
der Steuerkommission des Reichstags ist ein vorläufiger Beschluß über