Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Fünfundzwanzigster Jahrgang. 1909. (50)

250 HNaos Veutsche Reich und seine einjelnen GSlieder. (Juli 1.—3.) 
sollen. Eine Liebenswürdigkeit des Bundesrats, für die man im Reichstag 
ein bereitwilliges Verständnis hatte, wenn auch alle Zweifel damit keines- 
wegs beseitigt wurden. 
1. Juli. (Berlin.) 25 sozialdemokratische Versammlungen 
protestieren „gegen die geplante neue Belastung des deutschen Volkes 
mit Steuern“ und fordern sofortige Reichstagsauflösung. 
2. Juli. Reichskanzler Fürst Bülow begibt sich nach Trave- 
münde und sofort zum Kaiser an Bord der „Hohengollern“. 
2. Juli. (Reichstag.) Die Tabaksteuer wird mit Herab- 
setzung der Steuer auf Zigaretten von 1200 auf 1000 Mark an- 
genommen. 
Zugleich wird mit 341 gegen 12 Stimmen der Antrag Giesberts 
(Ztr.) angenommen, wonach aus den Einnahmen des Gesetzes den Landes- 
regierungen Beträge zu überweisen sind, aus denen Personen, die durch 
das Gesetz arbeitslos werden, Unterstützungen erhalten sollen. Näheres 
soll der Bundesrat bestimmen. Die Unterstützung soll aber mindestens drei. 
Viertel des entgangenen Verdienstes betragen. 
2. Juli. Der Kunsthistoriker Dr. Richard Muther f.6 
3. Juli. (Nürnberg.) Begründung eines Bayerischen 
Landesverbandes des deutschen Schulschiffvereins im Beisein des 
Prinzen Ruprecht von Bayern und des Großherzogs von Oldenburg. 
3. Juli. (Reichstag.) Zweite Lesung der Branntwein- 
steuervorlage. 
Dr. Weber (ntl.) führt aus, keiner seiner Freunde könne der Vor- 
lage in ihrer jetzigen Gestalt zustimmen. Die früher notwendige Liebes- 
gabe sei heute zum mindesten in der bisherigen Höhe absolut nicht mehr 
geboten. Sie war 1887 als vorübergehende Erscheinung gedacht, zur 
Entschädigung für den infolge der starken Mehrbelastung des Branntweins 
zu erwartenden Konsumrückgang. Das ist aber inzwischen zum mindesten 
wettgemacht. Als ich bei der Brausteuer die Kontingentierung beantragte, 
beren die Herren vom Zentrum und der Rechten es abgelehnt. (Hört! 
ört! links.) Zu der Kontingent-Liebesgabe kommt nun noch weiter hinzu 
das Brennrecht, das naturgemäß zur Einschränkung der Produktion 
führen muß, worin eine neue starke Liebesgabe an das Brennereigewerbe 
liegt. Die Finanznot des Reiches sollte der Mehrheit des Hauses einen 
starken Anreiz bieten zur Herabsetzung der Liebesgabe, von der selbst ein 
konservativer Abgeordneter vor einigen Wochen hier im Hause gesagt hat, 
die Großbrennereien müßten das ganze Odium der Liebesgabe tragen. Sie 
haben es gewagt, uns vorzuwerfen, wir seien nicht bereit, dem Reiche die 
notwendigen Mittel zu bewilligen; und bei einer in der Finanzgeschichte 
keines Reiches der Welt erhörten Steuervermehrung (sehr wahr! links) 
setzen Sie hier die Verbrauchsabgabe herunter und belasten die kleinen 
Parfümeriegeschäfte, um fünf Millionen aus den Aermsten des Mittel- 
standes herauszuziehen! (Hört, hört! links.) Süddeutschland ist an der 
Liebesgabe nur mit 8 Prozent beteiligt; es ließe sich ein anderer Weg 
finden, das Interesse Süddeutschlands zu wahren. Wir weisen Ihnen in 
einem Antrage einen solchen Weg. Die Vorlage schafft ein Monopol für 
die Zentrale für Spiritusverwertung. (Sehr richtig! links.) Das Syndikat
	        
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