20 Das Vesche Reich und seine rin#elnen Glieder. (Jannar 19.)
Auswüchse der Sozialdemokratie zu bekämpfen. Woran sind diese Ver-
suche gescheitert? Nicht an der Regierung, sondern an der Uneinigkeit
der bürgerlichen Parteien. Der Reichskanzler verlangt nochmals
Unterstützung der Regierung. Dazu gehöre auch, daß die bürgerlichen
Parteien Maß halten in ihrer Kritik und daß sie nicht durch eine über-
triebene Kritik die Autorität schwächen, die sie doch stärken müßten. Wir
müssen aus der Geschichte lernen. Wir sollen an allen Stellen stark, be-
scheiden, einfach und tüchtig sein. (Beifall.) Dann werden die Söhne be-
haupten, was die Bäter erworben haben. (Lebhafter Beifall.)
In derselben Sitzung spricht auch der Minister des Innern
v. Moltke über die Reorganisation der Verwaltung:
Seit vorigem Jahre haben Konferenzen stattgefunden, und es sind
umfangreiche Berichte eingegangen. Dieses Material zu sichten, war sehr
mühevoll. Es bestätigt durchaus die Notwendigkeit der Reorgani-
sation. Mit der Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse seit der
Begründung des Reiches ist eine Fortentwicklung des Geschäftsganges der
Verwaltung nicht Hand in Hand gegangen. Es fehlte an einer zeit-
gemäßen Verteilung der Geschäfte zu ihrer folgerichtigen Durchführung,
an den richtigen Beziehungen der Behörden zu den Selbstverwaltungs-
körpern und zu den neuen Aufgaben, und die Folge war eine ständig zu-
nehmende Belastung der Behörden und eine sich nach außen hin unangenehm
fühlbar machende Ueberspannung der Regierungstätigkeit. Da-
runter hat die Einheitlichkeit der Verwaltung, ihre Beweglichkeit und damit
ihre Wirksamkeit erheblich gelitten. Es wird auf reine Förmlichkeiten
eine Menge Kraft vergeudet. Es wird zum Teil in der Zwischeninstanz
in denselben Aufgaben von verschiedenen Behörden gearbeitet, in der Kreis-
instanz marschieren die technischen Behörden ohne Fühlung nebeneinander
her. Aufgaben von rein örtlicher Bedeutung werden zum Teil in der
Zwischen-, zum Teil in der Zentralinstanz erledigt. So mußte es dahin
kommen, daß die Vielschreiberei in hohe Blüte kam. Auch das Streit-
verfahren kann in vielen Punkten abgekürzt werden. Hierin muß Wandel
geschafft werden, und ich befinde mich da in Uebereinstimmung mit dem
ganzen Staatsministerium. Das soll nicht geschehen durch eine vollständige
Umstürzung alles Bestehenden — die Kreis-, Bezirks- und Provinzial-
instanz soll aufrecht erhalten bleiben —, sondern durch eine Reform, die
Erreichbares ins Auge faßt, die nicht einen neuen Behördenaufbau kon-
struiert, sondern unzweckmäßige Zwischen- und Einbauten beseitigt und
den Unterbau so festigt, daß er die neuen Aufgaben besser und leichter trägt.
Ich beabsichtige eine Reform nach vier Richtungen. Ich will
zunächst ansetzen bei der Verein fachung und Erneuerung des bureau-
kratischen Geschäftsganges und seiner Formen. Für Nichteingeweihte
ist das anscheinend sehr nebensächlich, wer aber die Verwaltungepraxis
kennt, der weiß, was es bedeutet, daß die ganze Geschäftsanweisung der
Regierung noch aus dem Jahre 1825 stammt. (Hört, hört!) Es werden
große Eingriffe in althergebrachte Gewohnheiten und eingewurzelte An-
sichten erforderlich sein. Auf diesem Gebiet werden wir auch auf großen
Widerstand stoßen und wahrscheinlich bei den Behörden keinen Dank finden.
Es sind für mich keine Probleme mehr, sondern es sind bereits sehr ein-
gehende Versuche mit einem Muster gemacht, das bei den verschiedenen
Regierungen aufgestellt worden ist. Nach diesem Muster beabsichtige ich
durch die Regierungspräsidenten ein zweites für die Landräte herausgeben
zu lassen. Diese Vorversuche sind, soweit ich bis jetzt übersehen kann, von
durchaus gutem Erfolg begleitet. Ich habe mich Hand in Hand bewegt