Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Sechsundzwanzigster Jahrgang. 1910. (51)

128 Nes Veutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (Februar 13. 14.) 
13. Februar. Wahlrechtsdemonstrationen. 
In Berlin veranstaltet die sozialdemokratische Partei 18 öffentliche 
Versammlungen in der Stadt und 26 in den Vororten. Eine gleich- 
lautende Resolution verlangt das allgemeine, gleiche, direkte und geheime 
Wahlrecht für alle 20 Jahre alten Personen beiderlei Geschlechts. Die 
Teilnehmer (etwa 50000 Personen) zogen dann in kleinen Trupps durch 
die Straßen und sammelten sich, da ihnen der Zug nach der inneren Stadt 
verwehrt wurde, im Humboldthain, ohne daß es zu erheblichen Zusammen- 
stößen gekommen wäre. Ebenso harmlos verliefen die sozialdemokratischen 
Straßendemonstrationen meist in den Provinzen, so in Altona, Barmen, 
Bochum, Danzig, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Hanau, Kassel, Kiel, Köln, 
Magdeburg, Remscheid, Solingen und Wiesbaden. Einige Verletzungen 
gab es in Halle, Königsberg, Neumünster und besonders in Duisburg. 
Auch die freisinnigen Organisationen der Städte Charlottenburg, Schöne- 
berg und Wilmersdorf veranstalten eine Versammlung, in der die Ein- 
führung des Reichstagswahlrechts und eine gerechtere Wahlkreiseinteilung 
in Preußen gefordert werden. Der nationalliberale Wahlverein in Breslau 
hielt eine öffentliche Versammlung ab, in der die Reichstagsabgeordneten 
Bassermann und Paasche das Auswärtige Amt und die preußische Wahl- 
reform scharf kritisierten. Der Provinzialverband schleswig -holsteinischer 
Bürger verlangt auf einem außerordentlichen Verbandstag in Altona die 
Einführung der geheimen Wahl. In Frankfurt a. Main demonstrierten 
der Verein für Frauenstimmrecht und die Sozialdemokraten gesondert. Auch 
außerhalb Preußens, besonders in Karlsruhe, Durlach und Pforzheim, 
finden Kundgebungen gegen die Wahlrechtsvorlage statt. 
14. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Inter- 
pellation über das Vorgehen gegen nationalliberale Beamte im 
Wahlkreis Czarnikau-Filehne. 
Abg. Friedberg (Nl.) begründet die Interpellation unter Auf- 
führung von Einzelheiten über Versetzung einiger nationalliberaler Be- 
amten und von Warnungen an Eisenbahnbeamte, Postbeamte und Lehrer, 
nicht für den nationalliberalen Kandidaten zu stimmen. 
Minister v. Moltke erklärt das Vorgehen der Regierung mit der 
Notwendigkeit, eine Zersplitterung der deutschen Stimmen zugunsten der 
Polen zu verhindern. In der Tat sei infolge der nationalliberalen Sonder- 
kandidatur der Pole in die Stichwahl gekommen. 
14. Februar. (Berlin.) Die medizinische Fakultät spricht 
sich für eine Statutenänderung aus, 
nach der die Zulassung zur Dozentur zunächst nur auf 5 Jahre erfolgen 
und erst dann durch Fakultätsbeschluß in eine endgültige umgewandelt 
werden soll. 
14. Februar. (Preußisches Abgeordnetenhaus.) Ande- 
rung der Geschäftsordnung? 
Der Seniorenkonvent verhandelt aus Anlaß der Pfuirufe in der 
Sitzung vom 10. Februar über eine Aenderung der Geschäftsordnung, nimmt 
aber davon Abstand und überläßt es den Parteien, zu der Frage Stellung 
zu nehmen. 
14. Februar. (Reichstag.) Erste Lesung des Gesetzentwurfes 
über den Absatz von Kalisalzen.
	        
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