116 Bas Deentsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 2.)
schickte sich jedenfalls dazu an, und 1903, also vor nahezu zehn Jahren,
wurde im „Reichs- und Staatsanzeiger“ der Vorentwurf eines entsprechen-
den Fideikommißgesetzes veröffentlicht. Er fand aber auf allen Seiten so
viel Kritik, daß es nicht zu einer Vorlage an den Landtag gekommen ist.
Die Familienfideikommisse sind nicht begründet im alten deutschen
Recht, wie dieses ältere deutsche Recht überhaupt keine Bevorzugung der
Erstgeburt kannte. Erst unter Friedrich Barbarossa ist dasselbe zum ersten-
mal in ganz verschwindendem Umfange aus Frankreich nach Deutschland,
und zwar gegen den zähesten und nachdrücklichsten Widerstand des deutschen
Volksbewußtseins, gebracht worden. Das deutsche Recht kennt, wie gesagt,
keine Bevorzugung eines Erben, kein Erstgeburtsrecht, und schon Wolfram
von Eschenbach hat im Parzival gegen diese welsche Mode, die ein schweres
Unrecht gegenüber den Kindern sei, energisch und kräftig Verwahrung ein-
gelegt. Das deutsche Recht hatte den Grundsatz der Gleichberechtigung
mehrerer Erben unter Fortsetzung der Erbgemeinschaft unter Brüdern, ja
auch unter Vettern zu gesamter Hand, die sogenannten Ganerbschaften. Auch
in dem deutschen Lehensrechte war das ursprünglich so. Für die Kurfürsten-
tümer wurde die Unteilbarkeit und die Primogenitur erst durch die Goldene
Bulle festgelegt, die damals im wesentlichen neues Recht auf diesem Gebiete
schuf. Von da ist es erst allmählich auf andere Reichsunmittelbare über-
tragen. Der Begriff des Fideikommisses stammt aus dem römischen Recht;
aber auch da wurde er zunächst eingeführt, um entsprechend der Familien-
stiftung eine gewisse Versorgung der Witwen und Töchter herbeizuführen,
nicht zu dem Zwecke, einseitig einen Erben zu begünstigen. Aus dem
römischen Recht haben es dann die Araber übernommen. Die Araber
haben es dann nach Spanien gebracht, und in Spanien haben es die christ-
lichen Adligen übernommen. Aber, wie gesagt, deutsches Recht war es bis
dahin nicht. Von Spanien ist es nach Unteritalien gekommen, besonders
nach Neapel. Im Deutschen Reich finden wir die ersten Fideikommisse in
Bayern. Etwas zeitiger sind sie nach Oesterreich gekommen, ziemlich gleich-
zeitig mit Bayern erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, nicht
früher- und im heutigen übrigen Deutschland erst vom 17. Jahrhundert an.
Das älteste norddeutsche Fideikommiß ist das Fideikommiß Amtitz, das aus
dem Jahre 1601 stammt. Erst nach dem 30jährigen Kriege sind unter dem
Einfluß spanischer Anschauungen die Fideikommisse in Deutschland stärker
verbreitet worden. Aber in ganz Preußen existieren aus dem 17. Jahr-
hundert nur fünf Fideikommisse, aus dem 18. Jahrhundert 56 und aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch nur 72. Die massenhafte Neu-
gründung fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts und in das gegen-
wärtige Jahrhundert. Man kann demnach von einem deutschen Rechte hier
überhaupt nicht sprechen; die ganze Entwicklung hat sich im Widerspruch zu
der deutschen Rechtsauffassung vollzogen. (Hört! hört! I.) Unter einem
Familiensideikommiß versteht man einen Vermögensinbegriff, der durch private
Willenserklärung für unveräußerlich erklärt ist, um in einer Familie zur
Erhaltung ihres Ansehens von Geschlecht zu Geschlecht vererbt zu werden.
Es unterscheidet sich vom fürstlichen Stammgut durch den privaten Akt bei
der Gründung und von dem bäuerlichen Anerbenrecht durch den Zweck:;
denn der ist bei dem bäuerlichen Anerbenrecht die Erhaltung eines Gutes
in seinem wirtschaftlichen Bestande, beim Familienfideikommiß dagegen die
Erhaltung einer Familie in hervorragender sozialer Stellung, das, was
ausgedrückt wird mit dem Wort „Splendor familiae“. Inwieweit haben
nun die Familienfideikommisse diesen Zweck erfüllt, zunächst den der Er-
haltung einer Familie? Wir haben anfangs der siebziger Jahre eine sehr
interessante Untersuchung eines durchaus konservativen Mannes, eines